Bern, 8.8.2024: Das Internationale Komitee Indigener Völker Russlands verurteilt in einem am 8. April, dem Internationalen Tage der Indigenen Völker der Welt veröffentlichen Appell an UN-Generalsekretär António Guterres scharf die Kriminalisierung von 55 indigenen und Unterstützerorganisationen durch die russische Regierung. Das russische Justizministerium hatte am 25. Juli eine Liste von 55 Organisationen veröffentlicht, die als Mitglieder einer fiktiven “Antirussländischen Separatistischen Bewegung” (“Antirossijskoe separatistskoe dviženie”) betrachtet werden. Eine Organisation dieses Namens gibt es nicht, was jedoch die russische Justiz nicht daran hinderte, sie am 7. Juli für extremistisch zu erklären und damit zu verbieten. Der zweite Schritt, ihr bestehende Organisationen zuzuordnen und damit zu kriminalisieren, war von Beobachtern erwartet worden.

Auffällig ist, dass die Liste von zwei Organisationen der indigenen kleinen Völker angeführt sind, die nicht nur langjährige Partner INFOEs sind sondern auch keinerlei separatistische Agenda verfolgen, da Eigenstaatlichkeit für die oft nur wenige Hundert oder gar Dutzend zählenden Ethnien der Arktis gänzlich illusorisch ist, wie INFOE-Mitarbeiter Johannes Rohr in einem Interview der Fachzeichschrift OSTEUROPA erläutert. Ebenfalls eigenartig ist die Aufnahme der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde in die Liste. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die erste Ausgabe der Zeitschrift OSTEUROPA die russische Nationalitätenproblematik behandelte, u.a. mit einem Beitrag von INFOE-Mitarbeiter Johannes Rohr zur Frage, ob die sie in einer kolonialen Situation leben.

Im von 120 Organisationen mitgezeichneten Appell heißt es:

Nach den Gesetzen des Landes bedeutet dies, dass Vertreter der indigenen Völker Russlands oder andere Personen, die sich an diesen Organisationen beteiligen, mit ihnen zusammenarbeiten oder einfach nur mit ihnen kommunizieren, mit langjährigen Haftstrafen rechnen müssen.
Die Anführer der indigenen Völker sind immer stärkeren Repressionen seitens der Behörden ausgesetzt. Angesichts der Bedrohungen, denen sie und ihre Angehörigen ausgesetzt sind, sahen sich viele gezwungen, das Land zu verlassen.
Gegen Aktivist:innen wurden von den russischen Behörden Strafverfahren eingeleitet, die sie zu Gefängnisstrafen
verurteilten. Die in der Sowjetunion weit verbreitete Praxis, die Psychiatrie als Waffe gegen Inhaftierte einzusetzen,
wurde wiederbelebt und wird nun gegen den prominenten Schamanen der indigenen Völker, Alexander Gabyschew,
eingesetzt. Anfang dieses Jahres verstarb der Hüter des heiligen Imlor-Sees, Sergej Ketschimow, während eines
Ermittlungsverfahrens. Er hatte sich für den Schutz des Sees vor Schäden durch die Ölgesellschaft eingesetzt.
Die pauschale Kriminalisierung einer so großen Zahl von Organisationen indigener Völker, darunter viele seit langem bestehende und hoch angesehene Einrichtungen, ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht. Es hat sich das Bild einer russischen Regierung ergeben, die die Rechte indigener Völker verletzt und dann Organisationen und Einzelpersonen, die sich gegen diese Verletzungen wehren, als Extremisten abstempelt.
Wir sind besorgt, dass dieser Akt ein Vorspiel für weitere Repressionen gegen die in Russland lebenden und arbeitenden Führungspersönlichkeiten und Aktivist:innen ist.