Partnerinnen der Uganda-Partnerschaft beim Tropentag in Wien

Am 10. September 2024 fand der von Biovision und Misereor organisierte Workshop BRIDGE! Practitioner Circle: Pastoralism: A platform to share findings relevant for development practice in pastoralism im Rahmen des Tropentages in Wien statt. Ziel des Workshops war es, Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen im Arbeitsfeld des Pastoralismus‘ in den direkten Austausch zu bringen. Am hybriden Workshop nahm unsere Partnerin Esther Atem von ‘Karamoja Herders of the Horn’ in Uganda teil, um sich mit Wissenschaftler*innen und Pastoralist*innen aus verschiedenen Regionen des afrikanischen Kontinents u. a. über Fragen zur Nutzbarmachung von existierenden Forschungsergebnissen für eine evidenz-basierte Lobbyarbeit, welche die Stärken der mobilen Wanderweidewirtschaft deutlich macht, auszutauschen. Im Hinblick auf eine wirksamere Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen wurde außerdem die Erforschung der mobilen Weidehaltung unter Nutzung lokalisierter Zonen mit günstigen Bedingungen und die Unterstützung von Vertreter*innen besprochen. Bei den Besprechungen wurde der Wunsch hervorgehoben, dass tatsächliche Bedürfnisse erforscht werden und direkt von Pastoralist*innen gelernt sowie traditionelles Wissen einbezogen wird. Weiter war den Teilnehmenden wichtig, dass die Forschungsergebnisse zugänglich gemacht werden und darauf geachtet werden soll, dass Informationen über indigenes Wissen nicht leichtfertig verbreitet werden, da damit u. a. durch Kommerzialisierung mehr Schaden als Vorteile für lokale Gemeinschaften angerichtet wird. Diese Punkte wurden anhand des Beispiels einer App Entwicklung gezeigt, bei der die Pastoralist*innen regelmäßig mit einbezogen werden und ihr kontinuierliches Feedback und die Verständlichkeit der App für Pastoralist*innen essenziell ist.

Für Esther war es sehr aufschlussreich, an dem Workshop teilzunehmen und von anderen Pastoralisten zu hören. Zudem war es sehr ermutigend zu erfahren, wie andere Pastoralisten auf dem afrikanischen Kontinent mit ähnlichen Herausforderungen wie in Karamoja konfrontiert sind und wie sie damit umgehen. Die dabei herausgearbeiteten Best Practices für Karamoja waren unter anderen die Vernetzung mit anderen pastoralen Gruppen in Afrika zur stärkeren Advocacy und die Mobilisierung von Ressourcen zur Popularisierung des Pastoralismus. Herausforderungen werden weiterhin bestehen hinsichtlich der Missverständnisse und falschen Wahrnehmung des Pastoralismus, die Weideland-Ressourcen und die Politik. Unterstützung braucht es unter anderem bei der Erhebung  wissenschaftlicher Daten zur Unterstützung des Pastoralismus, für globale Netzwerke zum Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen und die Zusammenarbeit bei der Mobilisierung von Ressourcen für die Pastoralist*innen.

Einen Einblick in die Lebensrealitäten der Pastoralist*innen gibt der folgende Beitrag von Esther zur geschlechtsspezifischen Landdynamik in Karamoja, welche ein empfindliches Gleichgewicht zwischen Tradition, Zweckmäßigkeit und Gemeinwohl widerspiegelt. Infolge ihres Beitrags vom August beschreibt Esther Atem hier die Auswirkungen der Sozialinstitutionen in Karamoja auf die Geschlechterrollen.

®Karamoja Herders of the Horn: Älteste teilen Fleisch beim Akiriket

Sozialisationsinstitutionen in Karamoja und ihre Auswirkungen auf Geschlechterrollen

Das Akiriket (Parlament der Karimojong)

Das Akiriket ist eine tief verwurzelte Struktur in Karamoja, in der wichtige, einflussreiche Älteste, Führer und vor allem Männer zusammenkommen, um entscheidende Fragen zu diskutieren, die die Gemeinschaft betreffen und wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Aspekte umfassen. Es ist auch ein Ort, an dem junge Männer in die Rolle des Mannes eingeführt werden. Die Teilnahme von Frauen an diesem Forum ist aufgrund kultureller Normen begrenzt. Frauen nehmen in der Regel an bestimmten Veranstaltungen teil, um Fleisch zu sammeln oder wenn politische Führer wichtige Informationen weitergeben. Sie kommunizieren jedoch während der Akiriket-Sitzungen nicht, da dies nicht erlaubt ist. Trotzdem werden auf diesen Veranstaltungen Entscheidungen getroffen, die sowohl Männer als auch Frauen betreffen.

Diese Institution hat Frauen dazu gebracht, sich auf allen Ebenen in den Hintergrund zu stellen, da Männer dazu ausgebildet wurden, die Führungsrolle zu übernehmen, die Gemeinschaft zu repräsentieren, sowie aktiv teilzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die die Gemeinschaft betreffen.

Ekeno oder Aperit (Feuerstelle)

Das Ekeno oder Aperit befindet sich immer in den Krals und Manyattas, wo jeden Abend ein Feuer entzündet wird. In diesem Gebäude werden Jungen und Mädchen von ihren Müttern, Vätern, Tanten und Onkeln unterrichtet und erzogen. Tatsächlich haben die Jungen, Väter und Onkel im Kral andere Feuerstellen als die Mädchen, Mütter und Tanten. An der Feuerstelle bringen die Väter und Onkel den Jungen bei, was in der Gemeinschaft gemäß der Karimojong-Kultur von ihnen erwartet wird. Dazu gehören Ratschläge, der Austausch von Erfahrungen, die Vermittlung kultureller Normen, Initiationen und das Erzählen von Geschichten (sowohl tatsächlicher als auch fiktiver Art). Das Gleiche gilt für die Mädchen, denen Mütter und Tanten beibringen, was in der Karimojong-Kultur von ihnen erwartet wird.

Die in der Kultur verwurzelten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern werden in diesen Sitzungen verstärkt. Jungen und Mädchen wird beigebracht, diese Normen als normal zu akzeptieren. So sollten Frauen beispielsweise niemals Männer in Frage stellen oder ihre Stimme gegenüber ihnen erheben, und Männer sollten mutig, kämpferisch und beschützend sein. Diese Lehren führen zu Praktiken wie der Zwangsverheiratung, bei der Mädchen von ihren Eltern erwarten sollen, dass sie im richtigen Heiratsalter einen geeigneten Mann für sie finden. Dies geschieht oft, um die Beziehungen zu den Familien von Freunden zu festigen oder um Reichtum in Form von Vieh zu erlangen.

Während der Gender-Trainingsaktivitäten erzählten Frauen, wie sie nicht zur Schule gehen konnten, weil sie gezwungen wurden, von ihren Eltern ausgewählte Männer zu heiraten. Eine Frau erzählte, dass sie wegen des gewalttätigen Mannes, den ihre Eltern für sie ausgesucht hatten, im Elend leben musste. Die Männer hingegen berichteten von dem Druck, mutig und beschützend zu sein, auch wenn sie Angst hatten. Sie fühlten sich gezwungen, gegen Feinde zu kämpfen, um als Männer anerkannt zu werden, da sie sonst lächerlich gemacht wurden und sich in der Gemeinschaft weniger als Mann fühlen. Männer mussten selbst dann auf Raubzüge gehen, wenn sie befürchteten, nicht zurückkehren zu können, weil der Druck der Geschlechterrollen durch die Institutionen der Gemeinschaft verstärkt wurde.

®Karamoja Herders of the Horn- KHH (vormals KDF): Video zur Lebensweise der Karamojong ‘Meine Mutter ist eine echte Kraalfrau’

Kultur 

In der Karimojong-Kultur wird von Frauen erwartet, dass sie den Männern gegenüber loyal sind, leise sprechen und nicht streiten, insbesondere nicht bei Entscheidungen, die von Männern getroffen werden. Wenn ein Vater beispielsweise beschließt, dass seine Tochter einen wohlhabenden Mann heiraten soll, erhält er von ihm Kühe, ob sie ihn nun mag oder nicht. Sie könnte geschlagen werden, wenn sie versucht, die Heirat abzulehnen. Von Frauen wird erwartet, dass sie sich von klein auf bis ins hohe Alter um die Familie kümmern. Mädchen werden dazu erzogen, sich um die Familie zu kümmern, indem sie sich um kleine Kinder kümmern, kochen, Wasser und Feuerholz holen, sich schmücken, attraktiv sind und möglichst viel lächeln, um zum richtigen Zeitpunkt verheiratet zu werden. Im Alter von fünf Jahren werden die Mädchen an Gelegenheitsarbeiten herangeführt, z. B. begleiten sie ihre Mütter beim Holen von Feuerholz und Holzkohle und gehen in die städtischen Zentren, um dort Dienstleistungen wie Babysitting und andere Haushaltsarbeiten zu erbringen.

Von Männern wird erwartet, dass sie mutig, kämpferisch, tatkräftig, stark und anspruchsvoll sind. Von ihnen wird erwartet, dass sie Frauen mit Mitgift heiraten und so viele Kinder wie möglich haben. Alles andere würde zu Beleidigungen führen und ihr Selbstwertgefühl beeinträchtigen, da es einen direkten Angriff auf ihr Ego darstellt. Im Alter von vier Jahren werden die Jungen in das Hirtenwesen und in Gemeinschaftsversammlungen eingeführt, wo sie Entscheidungsprozesse beobachten, um sich auf ihre zukünftige Rolle vorzubereiten.

Frauen, die in Karamoja nicht traditionell verheiratet sind, haben keinen Status. Sie führen bestimmte Gemeinschaftsrituale nicht aus und haben kein Recht, auf bestimmten Veranstaltungen zu sprechen. Sie werden „Ngakapukui“ genannt, d. h. diejenigen, die keine Mitgift bezahlt haben. Dies gilt auch heute noch. Mädchen, die Kinder bekommen, bevor die Mitgift bezahlt ist, bleiben weiterhin im Haus ihrer Eltern, und alle geborenen Kinder gehören ihrem Vater, bis die Vorauszahlung für die Kinder erfolgt ist. Erst wenn die Mitgift bezahlt ist, zieht sie in das Haus des Mannes, um eine Familie zu gründen. Gebildete Frauen, die vor der traditionellen Heirat bei ihrem Freund bleiben, werden nicht als verheiratet im Sinne der Tradition anerkannt. Wenn eine Frau, die nicht traditionell verheiratet ist, stirbt, wird sie in ihrem Elternhaus begraben, es sei denn, die Mitgift wird für ihren Leichnam bezahlt. Dies gilt sogar für gebildete Karimojong-Frauen.

Artikel von Esther Atem, Volunteer, Karamoja Herders of the Horn-KHH.

Einführung, Bearbeitung und Übersetzung Tanja Löbbecke

Den englischen Originalbeitrag finden Sie hier.

Institutions of Socialisation in Karamoja and Their Impact on Gender Roles