von Pedro Coña Caniullan

Laut einem Bericht der Weltbank und anderer Organisationen zufolge haben derzeit etwa 800 Millionen Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Elektrizität. 84% dieser Menschen leben in ländlichen Gebieten.[1] Um das nachhaltige Entwicklungsziel 7 (SDG 7: Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern) zu erreichen, müssen die Länder ihre Anstrengungen verstärken und sowohl den Energieverbrauch weiter reduzieren als auch den Anteil an erneuerbaren Energien an der Stromversorgung erhöhen. SDG7 ist für eine nachhaltige Entwicklung zentral und nachdrücklich verbunden mit anderen SDGs wie der Beendigung von Armut (SDG1) und Hunger (SDG2), mit wirtschaftlicher Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen (SDG8), der Stärkung von Frauen (SDG5) und nicht zuletzt mit dem Klimaschutz (SDG13). [2]

Deutschland gilt als „Energiewende-Land“ und der Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromversorgung nimmt ständig zu. Damit leistet Deutschland seinen Beitrag zu Unterziel 7.2. Zur Erreichung des Klimaziels 2020 sind jedoch weitere Schritte zum Ausstieg aus dem Kohlebergbau sowie zur Anpassung der Stromnetze und zur Reduzierung des Energieverbrauchs insgesamt notwendig. Bedingt durch die Maßnahmen in der Corona-Krise wird Deutschland sein Klimaziel für 2020 entgegen aller Prognosen voraussichtlich dennoch erreichen. [3]

Indigene Völker machen 15% der extrem armen Menschen der Welt aus und haben meist keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu Elektrizität. Gleichzeitig werden große Projekte für erneuerbare Energien wie Groß-Staudämme, Windmühlenparks und Geothermie-Anlagen in ihren Gebieten geplant und umgesetzt, ohne eine umfassende Information und die sinnvolle Beteiligung oder gar Zustimmung der betroffenen indigenen Gemeinschaften. „Die starken Verknüpfungen zwischen SDG 7 und den anderen SDGs unterstreichen die Notwendigkeit sicherzustellen, dass bei allen Maßnahmen zur Umsetzung der SDG […] sorgfältig geprüft werden muss, wie die Energieziele erreicht werden. Angesichts des unverhältnismäßig geringeren Zugangs zu sauberer, nachhaltiger Energie für indigene Gemeinschaften werden ihre Chancen, die anderen SDGs zu erreichen, ohne Berücksichtigung ihrer spezifischen Bedürfnisse und Umstände negativ beeinflusst.“ [4] Insbesondere die Bedürfnisse ländlicher bzw. abgelegener Gemeinschaften müssen berücksichtigt werden, um damit ihre Möglichkeiten der Selbstversorgung sowie ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken.

Indigene bzw. First Nations Gemeinschaften in verschiedenen Regionen Kanadas befinden sich in einem Übergangsprozess von der Stromerzeugung durch Dieselgeneratoren hin zu einer nachhaltigeren Energieversorgung. Klein-maßstäbliche und partizipative Energieprojekte können nach Meinung der First Nations sowohl messbare Vorteile – wie beispielsweise die Senkung der Haushaltskosten für die Energieversorgung – als auch nicht-messbare Vorteile für die Gemeinschaften bedeuten. So werden u.a. die Verringerung der Abhängigkeit von außen und eine Zunahme an Interesse für Energiefragen, mit der Eigenverantwortung der Gemeinschaft für kleine Energieprojekte in Verbindung gebracht. Diese Aspekte stehen in direktem Zusammenhang mit der Verbesserung der Selbstversorgung, der Durchsetzung der Selbstbestimmung und damit der Resilienz der First Nations Gemeinschaften. [5]

Skidegate ist eine First Nations Gemeinde auf Haida Gwaii, einem Archipel vor der nördlichen Pazifikküste Kanadas – früher als Queen Charlotte Islands bekannt – und Teil von Britisch-Kolumbien. Haida Gwaii besteht aus mehr als 200 Inseln, die sich über 300 Kilometer erstrecken. Seit jeher leben die First Nation Bands der Haida in einer engen Beziehung zum Land und den Gewässern von Haida Gwaii und waren vor der Ankunft der Europäer in Dörfern über die Inseln verstreut. [6]

Die derzeitige Abhängigkeit von Dieselkraftstoff wirkt sich direkt auf ländliche indigene Gemeinden in Kanada aus und birgt ernsthafte Risiken für die Verschmutzung von Böden und Grundwasser durch auslaufendes Öl und unzureichende Lagerung, zusätzlich zu den hohen Kosten für die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen. [7] Die Haida Gemeinden auf Haida Gwaii erkannten, dass die Abhängigkeit von der Kohlenstoffwirtschaft und dem Stromnetzanschluss, ihre Unsicherheit erhöht und ihre Fähigkeit zur Anpassung an Veränderungen schwächt. Im Rahmen von sogenannten ‚Umfassenden Gemeinschaftsplänen‘ (Comprehensive Community Plans – CCP) erarbeiten Haida Gemeinden in einem gemeinschaftlichen Prozess „einen Fahrplan für Nachhaltigkeit, Selbstversorgung und verbesserte Regierungs-Fähigkeiten […].“ [8] In den CCP-Prozess werden Prinzipien und Theorien von außen mit der eigenen Weltanschauung integriert, um den Weg der Vorfahren weiter zu gehen.

Die Gemeinde Skidegate durchlief von 2012 bis 2017 den Prozess zur Erstellung ihres Comprehensive Community Plans (CCP), im Rahmen dessen sie ihren Wunsch identifizierte, aufgrund der hohen Energiekosten und der Abhängigkeit von der Stromerzeugung durch Diesel, mehr Maßnahmen für eine nachhaltige Energieversorgung und damit zum Schutz des Landes und der Gewässer von Haida Gwaii zu ergreifen. Diese Projekte waren ein Nebenprodukt des CCP, wie ein Projektleiter erklärte. [9] Seitdem ist der CCP zentral, um den Weg zu nachhaltigen Energiesystemen in der Haida-Gemeinde zu initiieren und aufrechtzuerhalten. Als Ergebnis leitet die Haida-Gemeinde Skidegate unter eigener Verantwortung ein klein-maßstäbliches Entwicklungsprojekt für erneuerbare Energien, mit einer Stromerzeugung aus einem Energiemix aus Sonne, Biomasse und Wind.

Für die Haida Gemeinden bedeutet die Umstellung der Energieversorgung einen Anpassungsprozess mit technologischen und soziokulturellen Herausforderungen. Angesichts des Klimawandels begrüßen sie die Abkehr von einer Stromversorgung durch Dieselkraftstoff mit hohen Energiekosten und den genannten Nachteilen, wie Luftverschmutzung, Risiken für die Küstenumwelt durch Ölverschmutzungen sowie die negativen Auswirkungen auf ihr kulturelles Leben. Sie befürworten daher die Umsetzung kleinerer Energieprojekte, auch unter Einbezug neuer Technologien, die wirksame Effekte auf die Verringerung der Kohlenstoffabhängigkeit und der Risiken für die boreale Umwelt haben. Solche Projekte bringen außerdem spürbare Vorteile für die Gemeinden in den Bereichen Rechte, Umwelt, Soziales und Politik und fördern letztendlich die Selbstbestimmung und die Resilienz der Gemeinschaft. [10]

Auch in Deutschland zeigen Beispiele, wie das der Gemeinde Jühnde, dass die Teilnahme, Mitbestimmung und Eigenverantwortung von Gemeinden in der Entwicklung einer von fossilen Brennstoffen unabhängigen Energieversorgung entscheidend ist für die Nachhaltigkeit von Energieprojekten. [11]


Quellen und weiterführende Informationen