von Franziska Holder
In vielen Teilen der Welt, ist Arbeit und Besitz ein individuelles Konzept. Doch in der Lebensweise der Karamojong Pastoralisten in Uganda ist ihre Arbeit und ihre Lebensweise untrennbar mit Gemeinschaft verbunden. In der Online Veranstaltung „Commoning in Practice? Exploring Etamam, the Traditional Karamojong Mechanism for Cooperation and Social Equity”, welche als Teil der “Commoning Dialogues” Reihe vom Global South Studies Center der Universität Köln in Zusammenarbeit mit INFOE veranstalteten wurde, sprachen Sarah Mund (Universität Köln) und Esther Atem Odong (Karamoja Herders of the Horn) über Commoning und das System „Etamam“. Dieses System baut auf gegenseitige Unterstützung und soziale Gerechtigkeit. Im Dialog mit Esther, wurde deutlich, wie dieses System konkret funktioniert und auch welche Herausforderungen bestehen.
Ein System der geteilten Verantwortung
Wie bereits im Beitrag über das SGD1 von Simon Longoli dargestellt wurde, ist in Uganda besonders die Region Karamoja von Armut betroffen. Während der Armutsindikator des Landes bei 21% liegt, ist dieser in der Karamoja Region mit 61% deutlich höher und somit die Region mit dem höchsten Armutsindikator des Landes. Die klimatischen Bedingungen in dieser Region sind oft hart, was durch den Klimawandel zunehmend verstärkt wird. Etamam ist daher nicht nur eine Tradition, sondern auch eine Überlebensstrategie mit welcher Ressourcen gemeinsam genutzt werden.
Das Wissen über Etamam, was übersetzt soviel wie „Senden einer Nachricht“ bedeutet, wird über Generationen weitergegeben. Es tritt in Kraft, wenn eine Gruppe oder Gemeinschaft mit einem Mangel an Ressourcen, wie z.B. Wasser oder Weideland, konfrontiert ist. Die Ältesten (elders) einer Gemeinschaft senden meist vier junge Männer in vier verschiedene Richtungen, um Informationen über den Bestand der Ressourcen in diesen Gebieten zu sammeln. Sobald sie zurückkehren, beraten die Ältesten darüber, welches Gebiet am besten geeignet ist und senden eine Nachricht an die Gemeinschaft dieses Gebiets, in welcher sie ihr Anliegen vorbringen.
Wie Esther in diesem Dialog betonte, geht es hierbei allerdings nicht direkt um eine Erlaubnis ob die Pastoralisten und ihre Tiere in dieses Gebiet ziehen und die dortigen Ressourcen nutzen dürfen. Dies wird vorausgesetzt. Vielmehr geht es darum, wie diese Nutzung organisiert wird, um Frieden zu bewahren und eine Übernutzung zu verhindern. Bestimme Regeln und Zonen werden durch Etamam festgelegt, welche das Land nachhaltig schützen und Konflikte mit anderen Gemeinschaften vermeiden sollen.

®KHH: Esther mit einem Ältesten der Toposa (South Sudan) während des Ateker Kultur-Festivals
Aus Esthers Erzählungen wird deutlich, wie gut organisiert dieses System ist. Viele Gemeinschaften kennen nicht nur ihren eigenen Rhythmus, sondern auch die anderen Gruppen. So können sie deren Bewegungen im Voraus planen und sich auf mögliche Hilfegesuche einstellen.
Was ebenfalls ein zentrales Merkmal dieses System ist, ist die soziale Gerechtigkeit. Laut Esther spielt es keine Rolle, wie viele Tiere eine Gemeinschaft oder eine Person besitzt. Egal ob ein Tier oder eine große Herde, alle werden gleichbehandelt. Der Zugang zu Wasser und Weideland ist nicht an soziale Stellungen, sondern an eine geteilte Verantwortung gebunden.
(Neo)koloniale Strukturen und weitere Herausforderungen
Im Laufe des Diskurses wurde auch deutlich, dass Etamam auf verschiedene Herausforderungen trifft. Besonders offizielle Grenzen und damit verbundene bürokratische Hürden können ein großes Problem darstellen. Vor der Kolonialisierung Afrikas waren Grenzen, nicht relevant bzw. anders definiert als heute. Viele Gemeinschaften dieser Region bewegten sich je nach Jahreszeit und Ressourcenvorkommen. Die nationalen, aber auch innerstaatlichen Grenzen bringen oft bürokratische Hürden mit sich. Genehmigungen, staatliche Regelungen und langwierige Verwaltungsprozesse können das System von Etamam aus dem Gleichgewicht bringen und für weitere Probleme sorgen. Zudem entsteht durch die Einbindung staatlicher und privater Interessen neue Konflikte. Dies beinhaltet auch die Privatisierung von Land, welches von Pastoralisten genutzt wird.
Auch interne Konflikte können das System schwächen. Laut Esther ist besonders Diebstahl eine große Gefahr für das System, da dieses auf Vertrauen und Fairness beruht und es dadurch vermehrt zu Angst und Desorganisation kommen kann.
Der Diskurs mit Esther hat einen Einblick in eine Lebensweise vermittelt, die besonders in kapitalistisch geprägten Staaten selten ist. Es zeigt, was durch gemeinsame Verantwortung und soziale Gerechtigkeit möglich ist, aber auch welche Herausforderungen bestehen. Zudem wirft es Fragen auf. Danach, wem gewisse Ressourcen überhaupt gehören oder wie Gemeinschaften weltweit resistenter gegen klimatische Veränderungen und Ressourcenknappheit werden können?
Die Aufzeichnung des Dialogs finden Sie hier.