Natur- und Umweltschutz hat seinen Preis – doch wer zahlt ihn am Ende wirklich? Für viele indigene Gemeinschaften und lokale Bevölkerungen weltweit ist dieser Preis der Verlust von Lebensraum, Lebensgrundlage und kultureller Identität. Es kommt zu Gewalt und Vertreibung der lokalen Bevölkerung im Namen des Naturschutzes. Während die Vertreibung von Menschen durch internationale Großkonzerne, Bergbau, oder Infrastrukturprojekte weithin bekannt ist, wird oft übersehen, dass auch Umweltschutz selbst zu Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen führen kann. Diese sogenannten „Conservation Refugees“, werden aus ihrem ursprünglichen Lebensraum vertrieben. Während diese Vertreibungen oft gewaltsam erfolgen, geschieht dies häufig unter dem Deckmantel von „freiwilliger Umsiedlung“ oder „sanfter Vertreibung (soft eviction)“. Doch egal unter welchem Namen dies geschieht, Gemeinschaften verlieren, ohne große Mitsprache, ihr Land und ihre Lebensgrundlage.[1]

Mythos „unberührte Wildnis“

Auch wenn Naturschutz ein essentielles Ziel unserer heutigen Zeit sein sollte, wird oftmals von einem falschen Standpunkt argumentieret. Es gehen noch immer viele Menschen und auch einige Naturschützer davon aus, dass man eine „unberührte Wildnis“ schützen muss, welche frei von jeglichen menschlichen Bewohner*innen sein soll. Diese Annahme wurde in 1964 im „Wilderniss Act“ in den USA niedergeschrieben und bildet bis heute eine Basis für viele Nationalparks und Schutzgebiete weltweit. Das Konzept von „unberührter Natur“ sieht den Menschen getrennt von der restlichen Natur und nicht als Teil dieser, was dazu führt, dass lokale Gemeinschaften, welche seit Jahrhunderten in und mit diesen Ökosystemen leben, systematisch ausgeschlossen werden.

In vielen Fällen sind es internationale NGOs, die mit Unterstützung von Regierungen und privaten Geldgebern Naturschutzprojekte vorantreiben, oft ohne Rücksicht auf die Lebensweisen und Rechte der lokalen Bevölkerung. Das Ergebnis sind Gewalt und Vertreibung.

Das Phänomen der Conservation Refugees ist ein globales Problem, welches in verschiedenen Regionen auftritt. Von den Batwa in Uganda, über die Maasai in Ostafrika, bis zu den Huarani in Ecuador.

Die Folgen für die Menschen vor Ort

Die Vertreibung und Gewalt gegenüber der lokalen und indigenen Bevölkerung hat drastische Auswirkungen auf ihre Lebensweise. Der Verlust der Heimat bedeutet für viele Gruppen auch ein Verlust der Selbstbestimmtheit und wirtschaftlichen Unabhängigkeit, wodurch es oftmals zu einem starken Anstieg an Armut und Abhängigkeit nach externen Hilfen kommt. So zum Beispiel bei der Gemeinschaft der Batwa in Uganda, welche aus ihrem Lebensraum vertrieben wurde, und in Camps ohne Zugang zu ihren früheren Ressourcen oder einer nachhaltigen Lebensgrundlage leben. Während dieses Gebiet bereits seit den 1930ern eine geschützte Zone war, wurden die Batwa erst in den frühen 1990ern vertrieben, als die Wold Bank’s Global Environmental Facility deren Management übernahm. Vor allem durch den Druck westlicher Umweltorganisationen und deren finanzielle Unterstützung wurden die Batwa ihrem ursprünglichen Waldgebiet vertrieben, um dieses als Schutzraum für die bekannten Gorillas zu sichern. Dabei wurde fälschlicherweise angenommen, dass die Batwa eine Bedrohung für die Gorillas darstellen, obwohl sie über Jahrhunderte hinweg im Einklang mit ihnen lebten. Ihnen wurde nicht nur ihre gewohnte Umgebung und Existenzgrundlage entrissen, sondern auch ein großer Teil ihrer Kultur, inklusive Liedern, Traditionen, Ritualen und Geschichten, welche unter anderem aus der Beziehung mit ihrem Lebensraum, dem Wald, besteht.[2] Diese Erfahrung ist stellvertretend für viele Gruppen die von dieser Art des ausschließenden Naturschutzes, auch „fortress conservation“ genannt, betroffen sind.

Auch der niederländische Investigativjournalist Olivier van Beemen hat zu dieser Thematik geforscht. Seine dreijährige Recherche zu der NGO „African Parks“, welche große Naturparks in Afrika verwaltet und die lokale Bevölkerung mit Hilfe von Gewalt vertreibt, hat er nun in seinem Buch „Im Namen der Tiere“ veröffentlicht.

Naturschutz im Einklang mit der lokalen Bevölkerung

Naturschutz ist essentiell, allerdings kann die Lösung nicht in der Vertreibung der lokalen Bevölkerung liegen. Stattdessen braucht es Ansätze, welche den Schutz der Natur und die Rechte und Lebensweisen der lokalen Bevölkerung verbindet und berücksichtigt. „Fortress Conservation“ ignoriert Perspektiven und Wissen der indigenen Bevölkerung, welches viele Gemeinschaften über Jahrhunderte hinweg, durch ein Leben in und mit ihrer Umwelt, gelernt haben. Diese Gemeinschaften mit ihrem Wissen und nachhaltige Praktiken, wie zum Beispiel schonende Landwirtschaft oder Waldpflege, können wichtige Beiträge zum Naturschutz leisten und sollten zentrale und gleichwertige Partner*innen in dieser Debatte sein. Es gibt bereits positive Beispiele für eine effektive Zusammenarbeit zwischen indigenen Gemeinschaften, Regierungen und internationalen Organisationen, unter anderem in Nepal, Australien oder Canada. Ein Beispiel ist die „Inclusive Conservation Initiative“, welche unter anderem Projekte in der Annapurna Region in Nepal fördert und explizit mit der lokalen Bevölkerung und der „Nepal Federation of Indigenous Nationalisties“ zusammenarbeiten.[3]

Die lokale Bevölkerung als gleichwertigen Partner in Naturschutzprojekte mit einzubeziehen, ist nicht nur eine ethische Frage, sondern entscheidend für den Erfolg dieser Projekte, da ihr Wissen und ihre Praktiken maßgeblich zum Schutz der Natur beitragen können.

Quellen und weitere Infos:

Dowie, Mark. “Conservation refugees.” Orion 24.6 (2005): 1-14.

Inclusive Conservation Initiative https://inclusiveconservationinitiative.org/

African Arguments: “Making a mockery”: Ending Fortress Conservation in DRC and beyond https://africanarguments.org/2024/09/ending-fortress-conservation-in-the-drc-congo-and-beyond/

Video von PBS News https://www.pbs.org/newshour/show/ugandas-batwa-tribe-considered-conservation-refugees-see-little-government-support

[1] Dowie, Mark. “Conservation refugees.” Orion 24.6 (2005): 5.

[2] Dowie, Mark. “Conservation refugees.” Orion 24.6 (2005): 2.

[3] https://inclusiveconservationinitiative.org/geography/annapurna-area/

von Franziska Holder, Infoe-Praktikantin und Studentin der Ethnologie in Tübingen