FPIC-Protokolle als Mittel Indigener Völker zur Durchsetzung ihrer Rechte

Indigene Völker setzen der Missachtung ihrer Rechte seit einigen Jahren ihre selbst entwickelten FPIC-Protokolle entgegen. In diesen halten sie ihre Gewohnheiten und Entscheidungspraktiken fest und beschreiben, wie der Prozess von FPIC-Verhandlungen für sie auszusehen hat. Diese Protokolle können für Klarheit sorgen und somit zur Verwirklichung der Rechte der Indigenen Völker beitragen, indem sie dem Staat sowie Unternehmen dabei helfen, die Indigenen Völker zu schützen und zu respektieren. Viele Protokolle sind „lebende Dokumente“, unterschiedlich detailliert, unterschiedlich fest und verschriftlicht, denn die Kulturen aus denen sie hervorgegangen sind, sind selbst meist nicht schriftzentriert.

FPIC als verbindliches Prinzip

International verbindlich festgeschrieben ist FPIC u.a. in der UN-Erklärung der Rechte der indigenen Völker von 2007 und dem Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation sowie Weltbankstandards wie dem IFC Performance Standard 7, aber auch zunehmend in Verhaltenskodizes von Industrieverbänden. Die meisten lateinamerikanischen Staaten, darunter alle, um die es in dem Workshop ging, haben das ILO-Übereinkommen 169 unterzeichnet und haben sich damit eigentlich bereits zur Anerkennung des Rechts auf FPIC verpflichtet. Doch wie so oft klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.

Austausch von Erfahrungen im Workshop

Im Rahmen des Projektes fand vor dem 7. UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte in Genf am 24.11.2018 ein Workshop statt, bei welchem sich, in Anwesenheit von Vertretern verschiedener Organisationen und Indigener Völker aus verschiedenen Ländern, näher mit einigen Protokollen und der Anwendbarkeit und dem Erstellen der FPIC-Protokolle im Allgemeinen beschäftigt wurde. Der Workshop diente insgesamt dazu, das Verständnis der Fallstudien und der Erfahrungen anderer Völker zu verbessern, den Nutzen und Zweck der FPIC-Protokolle festzustellen und herauszuarbeiten, was am meisten nutzt, sowie um herauszufinden, ob andere Organisationen sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigen. Nach einer Einführung in das Projekt durch Cathal Doyle von der Middlesex University wurden vier Fallstudien vorgestellt.

Probleme mit der Umsetzung von FPIC im bewaffneten Konflikt in Kolumbien

Hector Jaime Vinasco und Viviane Weitzner berichteten über die Erfahrungen des Embera Chami Volkes in Kolumbien. Diesem Volk, welches in einer Bergregion mit großem Goldvorkommen angesiedelt ist, werden auf dem Papier viele Rechte zugesichert, die jedoch in der Praxis häufig missachtet werden. Das größte Problem ist der fortdauernde bewaffnete Konflikt, der Kolumbien eine der weltweit höchsten Raten an intern Vertriebenen beschert hat. Wie an so vielen anderen Orten in Kolumbien geraten auch die Embera immer wieder zwischen die Fronten. Immer wieder werden Menschen ermordet. Unmittelbar vor dem Workshop waren drei Indigene und ein Unterstützer getötet worden. Viviane Weitzner wies darauf hin, dass offiziell zwar immer von einer Post-Konflikt-Situation gesprochen werde, aber de facto der Kriegszustand andauere – ein kaum zu überschätzendes Hindernis für die Umsetzung von FPIC-Protokollen.

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Anerkennung von FPIC-Protokollen in Brasilien

Per Skype stellten Bel Juana und Biviany Astrid Rojas Garzon aus Brasilien das Protokoll des Volkes der Juruna, welches in Mato Grosso del Sur lebt, vor. Das FPIC-Protokoll wurde entwickelt, nachdem Unternehmen in der Vergangenheit ihr Recht auf Zustimmung und Gehör stets missachtet haben, insbesondere das lange Ringen um den Belo-Monte-Damm, der 2016 allen Protesten und Gerichtsentscheiden zum Trotz in Betrieb ging hat die Juruna bewegt, ihr eigenes Instrument zu entwickeln. Derzeit sind die sie außerdem von den Auswirkungen eines Goldabbauprojektes der Bergbaufirma Belo Sun betroffen. Nach einer Entscheidung des zuständigen Bundesgerichts wurde das Projekt jedoch abgebrochen und der Bergbaufirma wurde die Installationslizenz entzogen, bis sie den indigenen Gesetzen, welche in dem Protokoll der Juruna zu finden sind, entspricht.
Noch nicht absehbar ist, was die Wahl des Rechtsaußen Bolsonaro zum Staatspräsidenten bedeuten wird. Seine Äußerungen vor der Wahl lassen wenig gutes ahnen.

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Einrichtung von ICCAs in Malaysia

Gordon John Thomas von PACOS aus Sabah in Malaysia berichtete, wie die Gemeinschaft dort ihr Gewohnheitsrecht praktiziert und ihre Spiritualität lebt. In Sabah wird das traditionelle Wissen meist mündlich weitergegeben, weswegen es Außenstehenden schwer vermittelt werden kann und des Öfteren untergraben wird. Die Gemeinschaft wird nicht in für sie relevante Entscheidungen mit einbezogen. Doch es gibt Pläne für die Einrichtung von indigenous and community conserved areas (ICCAs), welche die Lage verbessern könnten. Gordon ist selbst Mitglied des ICCA Consortiums, in dem sich weltweit indigene Völker für die Wahrung ihrer Landrechte in Schutzgebieten einsetzen.

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Autonomie der Wampis-Nation in Peru

Grimaldo Sanchez und Tami Okamoto präsentierten in ihrer Fallstudie die Situation der Wampis-Nation in Peru. Die indigene Wampis-Gemeinschaften haben dort eine autonome Gebietsregierung gegründet, um sich davor zu schützen, dass ihre Rechte und ihr Recht auf FPIC von Unternehmen und der Regierung missachtet werden. Hintergrund ist, dass Peru als Unterzeichnerstaat des ILO-Übereinkommens 169 seit 1994 ein Konsultationsgesetz besitzt, das aber den Gegenstand der Konsultation so einschränkt, dass keine echte Mitbestimmung möglich ist. Dem setzen die Wampi ihre bislang beispiellose selbsterklärte Autonomie entgegen. Sie bekennen sich zwar ausdrücklich als peruanische Staatsbürger, legen aber Wert darauf, über das eigene Territorium die vollständige Souveränität auszuüben.

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Auf die Präsentationen folgte ein Austausch über die verschiedenen Erfahrungen und die Übertragbarkeit der Erfahrungen der einen Völker auf die Situation anderer Völker und den Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen. Immer wieder stellte sich die Frage, ob und wie eine freie Zustimmung in einem bewaffneten Konflikt, wie zum Beispiel in Kolumbien und auf den Philippinen, möglich ist. Windel Bolinget von der Cordillera Peoples Alliance von den Philippinen hält ein sicheres, freies, demokratisches Umfeld für unerlässlich, damit Protokolle entwickelt werden und Anwendung finden können.

„ In unserem Fall haben wir bei der Entwicklung oder Anwendung unserer FPIC-Protokolle […] gelernt, dass wir, wenn der Staat undemokratisch, tyrannisch oder totalitär ist, keine […] Umgebung, in der wir unsere freie, vorherige, informierte Zustimmung praktizieren können und keine Anerkennung unseres Rechts auf unsere Ahnenländer erwarten können. Und die Regierung ist undemokatisch. Das bedeutet also, dass es an den Menschen ist, sich zu organisieren und die Bewegung der Menschen zu stärken, um fähig zu sein, die Stärke einsetzen zu können.“-Windel Bolinget

Es muss also ein Ende der Militarisierung indigener Territorien und der Kriminalisierung jener Indigener, die ihr Land verteidigen, geben. Innerhalb eines diktatorischen Regimes ist es für Indigene Völker nicht möglich, ihre Selbstbestimmung auszuüben. Es wurde betont, dass die Protokolle ein wichtiges Mittel dafür sind, um in den Gemeinschaften einen Konsens über die Traditionen und das Gewohnheitsrecht zu bilden und um die Umsetzung von FPIC zu verbessern.
Zudem wurde deutlich, dass ein solcher Austausch über die Protokolle zwischen Indigenen Völkern verschiedener Regionen sehr hilfreich ist und die Indigenen Völker stärkt.

7. UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte

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Das UN-Forum für Wirtschaft und Menschenrechte wird seit 2012 jährlich von der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte veranstaltet. Es beschäftigt sich mit der Umsetzung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, welche 2011 vom UN-Menschenrechtsrat verabschiedet wurden und ein vorläufiges Ergebnis der über 40-jährigen Bemühungen sind, menschenrechtliche Pflichten von Großkonzernen, die oft mächtiger sind, als die Staaten, in denen sie operieren, festzuschreiben. Die freiwilligen Leitprinzipien sind in drei „Säulen“ untergliedert, die erste Säule beschreibt die Pflicht des Staates, Menschenrechte zu schützen, die zweite die Verantwortung von Unternehmen, Menschenrechte zu respektieren und die Dritte den Anspruch der Betroffenen auf Zugang zu effektiven Rechtsmitteln. Das siebte Forum stand unter dem Oberthema der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten (Human Rights Due Diligence), einem Kernelement der zweiten der drei Säulen.
Zwei Sideevents des Forums widmeten sich dem genannten Thema.
In einem Snapshot stellten Cathal Doyle und Hector Jaime Vinasco das Projekt, in dessen Rahmen auch der Workshop veranstaltet wurde, vor.
In einer weiteren Veranstaltung, die betitelt war Integrating indigenous peoples rights in human rights due diligence: what does it mean in practice?“ wurde das Thema FPIC im Kontext menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten beleuchtet. Indigener Sprecher/innen aus Kenya, den Philippinen, Guatemala und weiteren Ländern sprachen über die Menschenrechtslage ihres Volkes insbesondere darüber. welche Verfahren sich bewährt haben um die Umsetzung von FPIC zu stärken. FPIC-Protokollen kommt dabei eine große Bedeutung zu.
Nicolas Cotts vom kanadischen Bergbaukonzerns Newmont, der insbesondere für Menschenrechtsverletzungen im Umfeld der Yanacocha-Mine in Peru verantwortlich gemacht wird, war anwesend, sichtlich bemüht darum, zu zeigen wie sehr sich die Konzernpolitik seitdem geändert habe. Es folgten viele Kommentare und Fragen, bei denen weitere Indigene eindrucksvoll die Lage und die Erfahrungen ihres Volkes schilderten. Es wurde sehr deutlich, dass mehr getan werden muss, um die Rechte Indigener Völker entsprechend der Leitprinzipien zu schützen und zu respektieren. Sehr kritisch merkten mehrere Sprecher an, dass von „Due Diligence“ in einem von Gewalt, Konflikt und Kriminalisierung geprägten Umfeld nicht die Rede sein kann und setzten damit eine deutliches Fragezeichen hinter das von der Arbeitsgruppe gesetzte Oberthema.
Dies sahen auch die Mitglieder der Working Group on Business and Human Rights so, nachdem in der Abschlusssitzung des Forums eine Erklärung der Indigenen vorgetragen wurde, für deren Entwicklung schon am 25.11.18 ein von DOCIP organisiertes Caucus-Treffen stattgefunden hat.

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