Chile hat das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über indigene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern im Jahr 2008 ratifiziert. Durch die Ratifizierung eines IAO-Übereinkommens verpflichtet sich eine Regierung, die nationale Gesetzgebung und Rechtspraxis in Bezug auf das internationale Instrument, d.h. die im entsprechenden IAO-Übereinkommen enthaltenen gesetzlichen Bestimmungen, zu harmonisieren.
In diesem Harmonisierungsprozess wurde die sogenannte “indigene Konsultation” von der derzeitigen Regierung Chiles durchgeführt, um eine Änderung des Indigenen-Gesetzes hervorzubringen. Die vorgesehene Änderung im gültigen Gesetz enthält ein zentrales Problem für die Mapuche und andere indigene Völker in Chile: die Möglichkeit, indigenes Land für 25 Jahre an nicht-indigene Unternehmer zu verpachten oder zu übertragen, was im bis heute geltenden indigenen Gesetz verboten ist, um die indigenen Ländereien und Gemeinden, zu schützen.
Die so genannte “indigene Konsultation” stellt zwar einen Mechanismus dar, um die Stimmen der Indigenen bezüglich der geplanten Gesetzesänderung anzuhören. Jedoch waren nicht alle betroffenen indigenen Gemeinden ausreichend über die möglichen Implikationen einer Gesetzes-Änderung informiert, um auf der Basis einer vollumfänglichen und vorherigen Information eine Entscheidung treffen zu können, so wie es in Artikel 6 des IAO-Übereinkommens vorgesehen ist. Die sogenannte indigene Konsultation stellt einen weiteren Schritt in der Nicht-Anerkennung der Gewohnheitsrechte und der Weltanschauung der Indigenen dar. Durch sie sollten die Weichen gestellt werden für die weitere Übernutzung und verantwortungslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen, für das Fortschreiten einer umweltschädlichen Wirtschaftsweise und der Zerstörung der Natur und der biologischen Vielfalt. Dies ist vergleichbar mit dem was jetzt im brasilianischen Amazonas-Regenwald passiert: dies ist kein Zufall, sondern eine Folge von Gesetzen und Verordnungen einer Regierung, die weiß, was sie tut und trotz Kenntnis der Katastrophen den Agrobusiness vorantreibt und nur die Ausweitung der Weideflächen und der Viehzucht im Blick hat, auf Kosten der Zerstörung der biologischen Vielfalt und des Klimas des Planeten.
Dies ist die gleiche Politik, die die chilenische Regierung verfolgt, während der trockenste Winter in der Geschichte gerade vorbei ist und der Monat Juli der heißeste Monat im Norden des Landes war (inmitten des Winters). Die Metropolregion um Santiago (ehemals Mapuche-Territorium) wurde aufgrund von Wassermangel zur landwirtschaftlichen Notzone erklärt. Den ganzen Winter regnete es praktisch nicht und die Tiere hatten kein Wasser, keine Nahrung und es kam zu einem massiven Viehsterben. Während immer mehr Mapuche-Gemeinden im Süden des Landes sich daran gewöhnen müssen, einen Großteil des Jahres von den örtlichen Gemeindeverwaltungen mit Wasser versorgt zu werden, war es vor einigen Jahrzehnten undenkbar, dass eine solche Tragödie eintreten würde.
Aus Sicht der Mapuche scheint die Umweltpolitik im offiziellen Modell der nachhaltigen Entwicklung auf nationaler Ebene nicht vorhanden zu sein. Doch in der Kosmovision der Mapuche-Gemeinschaften in Chile, die auf kulturellen Prinzipien beruht, die den Schutz des Lebens auf eine ganzheitliche Weise bestimmen, sind die nachhaltige Nutzung und der Schutz der Umwelt integrale Bestandteile. Daher war es nicht möglich, das Gewissen der Gemeinden in dieser sogenannten “indigenen Konsultation” mit Geld zu erkaufen, denn die Mapuche-Gemeinschaften lehnten die Verhandlung der Gesetzesvorgaben entschieden ab und handelten als ein Kollektiv und nicht als individuelle Personen. Wir sind ein Volk, eine Nation, und agieren immer als ein Körper, wenn die Integrität unserer Mutter Erde bedroht ist. Die Vertreter der Invasoren treten als Fürsprecher und Initiatoren der Verbrennung einheimischer Wälder auf, die durch exotische Baumplantagen ersetzt werden sollen; als Fürsprecher der Übernutzung der Ressourcen und des Erlasses von Gesetzen und Verordnungen, die die Einheit des Mapuche Volkes und der indigenen Völker im Allgemeinen zerstören, die wir in diesem Gebiet seit jeher leben und uns um unsere Mutter Erde kümmern.
Nachtrag: Trotz entsprechender Ankündigung, nahm die Regierung den Prozess der suspendierten Konsultation im Oktober nicht wieder auf. Heute vermuten wir, dass die Umstände, die den Missbrauch der Rechte der indigenen Völker Chiles verhindert haben, wahrscheinlich andere Gründe als den Schutz der indigenen Rechte. Die weiterreichenden hatten Proteste gegen die Bürgerrechtsverletzungen in Chile haben auch die kritische Situation der Mapuche-Gemeinschaften angesichts des unkontrollierten Fortschritts der Entwicklungspolitik, den die Regierung gegenüber indigenen Gebieten gefördert hat, noch einmal sehr deutlich gemacht. Es bleibt nicht nur die allgemeine Unzufriedenheit der nationalen Bevölkerung, sondern auch die Umweltkatastrophe, die sich zunehmend auf das Leben der Ureinwohner auswirkt.
Jorge Quelempan Neculqueo, Lonko, Comunidad WE Pedro Curiqueo und Pedro Coña Caniullan (Übersetzung Sabine Schielmann)