Eine der Lebensgrundlagen unseres Kichwa-Volkes von Sarayaku ist das Sumak Kawsay, übersetzt so viel wie Leben in Harmonie. Es ist das Prinzip unseres Zusammenlebens in der Gemeinschaft auf unserem Territorium. Wir kritisieren die Anpassung der Sumak Kawsay-Philosophie unter dem Namen „Gutes Leben“ durch den ecuadorianischen Staat. Für uns ist es eine Aneignung unserer sozialen und kulturellen Grundlagen für einen wirtschaftlichen Zweck, den der Staat mit der Schaffung der aktuellen Politik des „Buen Vivir“ anstrebt.

Für uns ist das Sumak Kawsay mehr eine Lebensphilosophie als ein Konzept. Es entsteht aus unserer Gemeinschaft, aus dem täglichen Leben in den Territorien heraus. In der Essenz des Sumak Kawsay geht es für uns nicht nur um das Gemeinwohl, sondern auch um den Schutz der Mutter Erde, der ohne die Bewahrung des Wissens unserer Vorfahren und unserer Spiritualität nicht möglich ist. Es ist der Kern einer integralen Kosmovision, in der wir Menschen nicht mehr sind als ein Sandkorn.

Das Sumak Kawsay sucht nach einem Gleichgewicht.

Die westliche Gesellschaft gibt einem Entwicklungsmodell den Vorrang, das den Menschen über die Natur stellt. Aus dieser Perspektive ist die Umwelt nur ein Objekt, das der Menschheit dazu dient, sie auszubeuten und zu bestehlen.

Sumak Kawsay kann als Aufruf verstanden werden, diesen Extraktivismus zu beenden. Der Planet, unsere Mutter Erde, sollte als Lebewesen, als unser Zuhause, unsere Mutter betrachtet werden. Jeder Mensch ist ein Teil von ihr, von diesem großen Wesen, das uns erlaubt, sie zu bewohnen. Mit diesem Artikel möchte ich zum Nachdenken über den Sinn und die Art und Weise des Lebens und des Zusammenlebens in und mit unserer Mutter Erde aufrufen.

Heutzutage leben wir in unterschiedlichen Kontexten, von den verschiedenen indigenen Kulturen bis hin zur globalisierten westlichen Kultur.

Als Kichwa-Volk von Sarayaku bedauern wir, dass die Initiativen, die wir von unserem Gebiet aus propagieren, zu oft missverstanden werden. Sie führen nicht zu den gewünschten Überlegungen, um Maßnahmen zu ergreifen. Aus unserer Sicht ist Sumak Kawsay nicht nur ein Konzept für das Leben in unserem territorialen Raum, sondern auch ein Vorschlag zur Bewältigung der verschiedenen zivilisatorischen Krisen ist, von den aktuellen Kriegen über Diskriminierung und Rassismus bis hin zur Klimakrise. Für uns bedeutet Sumak Kawsay, Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls der planetaren Gemeinschaft zu übernehmen.

Heute dominiert in den Großstädten die Vision des endlosen Wachstums. Das vorherrschende Ziel ist es, Luxus und materielle Güter um jeden Preis zu vermehren. Die Auswirkungen dieses Konsumverhaltens treffen uns, die indigenen Völker, die an vorderster Front für die Verteidigung der Mutter Erde stehen, besonders hart. In diesen Zeiten der Gier und Ausbeutung melden wir uns mit dem Vorschlag des Sumak Kawsay zu Wort, um eine Alternative zu bieten, die auf dem Leben basiert.

Die jungen Leute von Sarayaku fühlen sich dafür verantwortlich, diesen Lebensentwurf in die Welt zu tragen.

Interkulturelle Dialoge wie der zwischen unseren Jugendlichen und den Schüler*innen aus Berlin helfen uns sehr dabei, unsere gemeinsame Vision weiterzudenken. Dort diskutieren wir, wie wir uns unsere Zukunft vorstellen. Unsere Eltern und Großeltern haben uns gelehrt, dass wir eine große Verantwortung haben werden, und es liegt nun an uns, diese zu erfüllen und das zu schützen, was uns noch bleibt. Es liegt an uns, weiterhin Netzwerke zu schaffen und zu knüpfen, um eine echte Harmonie mit Mutter Natur aufzubauen. Es ist sehr wichtig, Räume für einen Dialog wie diesen zu schaffen. Er ermöglicht es uns, über den individuellen Nutzen hinaus zu sehen und auf dem Prinzip der Kollektivität und Gegenseitigkeit zu bauen.

Für uns junge Menschen bedeutet Sumak Kawsay, dass unsere Gebiete frei von Bergbau-, Öl-, Holzfäller- und Straßenkonzessionen sind, die unsere Lebensweise zerstören. Es bedeutet, unsere Kultur und unser Wissen zu bewahren und zu leben.