Ein Interview mit Pasang Dolma Sherpa, Geschäftsführerin am Forschungs- und Entwicklungzentrum für Indigene Gemeinschaften (Center for Indigenous Peoples’ Research and Development – CIPRED) in Nepal.

Welche Auswirkungen hat der globale Klimawandel speziell in Nepal?

Die Folgen des Klimawandel sind überall zu beobachten, aber in Entwicklungsländern wie Nepal sind die Auswirkungen besonders spürbar. Nepal ist das Land, das am viertstärksten von den Auswirkungen der globalen Erwärmung betroffen ist. Wenn das Eis auf den Bergen schmilzt, laufen die Gletscherseen über. Das führt zu schweren Erdrutschen. Der Klimawandel hat überall sichtbare Auswirkungen, aber vor allem bei den indigenen Gemeinschaften, die im Wald oder in sehr abgelegenen Gebieten wohnen und die direkt von ihrem Land leben.

Sie betreiben Subsistenz-Landwirtschaft [das heißt, sie bauen Essen für ihren Eigenbedarf an]. Sie sind stark von ihrer Umwelt abhängig, zum Beispiel vom Regen und darum am meisten von den Veränderungen betroffen. Wenn es nicht rechtzeitig regnet, wenn sich die Niederschlagsmuster verändern, dann können sie ihre gewohnten Anbaumethoden nicht anwenden. Das ist einer der Umstände, mit denen indigene Gemeinschaften konfrontiert sind. Die Klimafolgen beeinflussen ganz konkret ihren Alltag.

Sind indigene Frauen auf andere Weise betroffen als Männer?

Ja, indigene Frauen sind im Vergleich zu Männern besonders vom Klimawandel betroffen. Indigene Gemeinschaften sind besonders verwundbar, und unter ihnen vor allem die Frauen, weil ihr Leben eine starke Beziehung zum Wald und zu natürlichen Ressourcen hat.

In ihrem Alltag gibt es eine starke soziale und kulturelle Verbindung zur Natur. Die Erzeugnisse des Waldes, Artenvielfalt, all das spielt eine große Rolle in ihrem täglichen Leben.

Zum Beispiel holen sie Wasser aus Quellen im Wald, oder Futter für ihr Vieh. Es gibt einfach eine ganz starke wechselseitige Beziehung zwischen ihrem Leben und der Natur.

Wenn es in der Umwelt Veränderungen gibt, wenn es Klimaveränderungen gibt oder wenn sich Niederschlagsmuster ändern, dann ist der Alltag der indigenen Gemeinschaften stark betroffen, vor allem der Frauen.

Warum sind die Wälder wichtig für die indigenen Gemeinden…?

Der Wald ist sehr, sehr wichtig für indigene Gemeinschaften, nicht nur, weil er ihre Lebensgrundlagen ist, sondern auch, weil sie eine starke spirituelle, kulturelle und soziale Beziehung zum Wald haben. Ohne Wald ist ihr Leben unvollständig. Ohne ihn können sie ihre Rituale und Feiern nicht ausüben. Sie haben ein ganz enges Verhältnis zum Wald, sozusagen eine symbiotische Beziehung.

Wenn der Wald geschädigt wird, wenn sie keinen Zugang zum Wald haben oder der Wald nicht mehr da ist, dann haben sie nicht die Möglichkeit, ihr Leben weiterzuführen wie bisher, und dann ist ihr Überleben bedroht.

Welche Bedeutung hat der internationale Waldschutz?

Es gibt globale Szenarien dafür, dass wir Wälder schützen müssen.

Die Länder haben ein stärkeres Interesse, die Waldschutzgebiete auszuweiten. Das ist einerseits ganz gut, allerdings sollten wir nicht vergessen, welche Folgen dies für indigene Gemeinschaften und die Menschen vor Ort hat.

Wir sollten auch das Leben der einfachen Menschen schützen, nicht nur die Natur.

Darum müssen diese Waldschutzprogramme wirklich gut durchdacht und ausgewogen sein und sich nicht nur auf einen Aspekt fokussieren.

Denn, wie ich erklärt habe, sind Wald und Natur die Lebensgrundlagen der Menschen und das eine kann nicht vom anderen getrennt werden.

Wenn es eine neue Gesetzgebung in Bezug auf Wälder, Land und Natur gibt, dann sollten die lokalen Gemeinschaften miteinbezogen werden. Die Maßnahmen sollten im Dialog mit den Menschen entstehen, so dass diese Programme keine negativen Auswirkungen auf ihr Leben haben.

Besitzen die indigenen Gemeinden Landrechte?

Die indigenen Gemeinschaften glauben, dass die Wälder das Land ihrer Vorfahren sind.

Doch in den 1950er Jahren wurde eine neue Wald- und Landpolitik eingeführt, in der die traditionellen Praktiken der Waldnutzung der indigenen Gemeinschaften keine Rolle spielen.

Rechtlich werden die traditionellen Praktiken der indigenen Gemeinschaften also in der Waldgesetzgebung und den Bestimmungen nicht anerkannt.

Trotzdem ist zu beobachten, dass indigenen Gemeinschaften ihre Tradition der nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern und natürlichen Ressourcen weiterführen. Die meisten indigenen Gemeinschaften sind sich gar nicht bewusst, dass sich die rechtliche Situation geändert hat.

Darum ist es wirklich wichtig, dass die Regierung die Rolle der indigenen Gemeinschaften anerkennt. Denn sie schaden oder zerstören den Wald ja nicht, im Gegenteil, sie tragen dazu bei, dass er nachhaltig genutzt wird. Denn ihre Art der Waldnutzung trägt sogar zu mehr Resilienz bei, d.h. zu einer besseren Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel. Wenn es also rechtliche Bestimmungen für den Wald gibt, dann ist es wichtig, dass die Rolle der indigenen Gemeinschaften darin anerkannt wird.

Was bedeutet „REDD+“ und welche Rolle spielt das Programm in Nepal?

REDD bedeutet „Reduced emissions from deforestation and forest degradation“, also Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung. Das „Plus“ steht für Nachhaltigkeit und Artenschutz. Es geht um den Ausbau des Kohlenstoffspeichers der Wälder.

In Nepal gibt es verschieden Prozesse rund um REDD+. Die Regierung in Nepal, vor allem das Ministerium für Forstwirtschaft und Umwelt, hat schon 2008 die ersten REDD Programme initiiert.

Es geht dabei um zusätzliche Speicherung von Kohlenstoff in den Wäldern. Die Erhöhung des Kohlenstoffgehaltes wird vom REDD Programm kompensiert.

Die Regierung hat jetzt ein Pilot-Projekt, Kohlenstoff-Fonds, für das REDD+ Programm gestartet.

Für die indigenen Gemeinschaften ist REDD auch ein Thema. Die Regierung fokussiert sich darauf, wie sie möglichst viel Geld von REDD bekommen. Aber für die indigenen Gemeinschaften, Menschen vor Ort, Frauen und anderen marginalisierten Gruppen geht es nicht nur um Geld.

Für sie ist es wichtig, wie REDD+ umgesetzt wird und wie es ihr tägliches Leben beeinflussen wird, das sie seit Generationen führen. Die indigenen und lokalen Gemeinschaften sind sich bewusst, dass Schutzmaßnahmen für sie wichtig sind. Diese müssen sicherstellen, dass sie auch an den Gewinnen von REDD+ beteiligt werden.

Die Gelder von REDD+ werden auf zentraler Ebene verwaltet. Wenn die Regierung Geld mit dem Wald verdient, den die indigenen Gemeinschaften vor Ort geschützt haben, dann stellt sich die Frage, wie dieses Geld zu den Menschen vor Ort kommt und wie es zu ihrem Lebensunterhalt beitragen kann.

Das ist eine große Herausforderung und es ist eine große Sorge der indigenen Gemeinschaften und Dörfern vor Ort, wie mit dem Thema umgegangen wird.

Wir haben eine Studie über Landbesitz herausgegeben und darin untersucht, wer die Nutznießer von REDD+ sind. Sie zeigt, dass die Landbesitzfrage eine sehr große Herausforderung ist. Viele indigene Gemeinschaften, besitzen ihr Land nicht. Sie leben seit Generationen, seit tausenden von Jahren im Wald, aber sie haben keine Landtitel. Sie haben sich nie darum beworben. Als die Regierung all diese rechtlichen Verfahren um Landzertifikate einführte, hatten sie nicht den Eindruck, dass es wichtig ist, sich dabei zu bewerben. Denn sie glauben, dass das Land, auf dem sie leben, ihnen gehört. Und jetzt erklärt die Regierung ihre Dörfer zu illegalen Siedlungen.

Sehen Sie den Konflikt, der hier entsteht? Wie gehen wir also mit diesen Aspekten von REDD+ um?

Vor kurzer Zeit gab es in Nepal ein Erdbeben. Einige indigene Gemeinschaften hat dieses Erdbeben schlimm getroffen. Sie haben ihre Häuser und ihre Familien verloren. Sie sind aber nie von dem Erdbeben-Rehabilitations-Programm entschädigt worden, weil sie keine Landzertifikate nachweisen konnten. Das Gleiche steht uns mit REDD+ bevor.

Es stellt sich die Frage, wie wir den Vorteilsausgleich vor Ort organisieren. Viele indigene Gemeinschaften, die im Wald leben, gehen davon aus, dass das Land ihnen gehört. Die Landfrage muss im REDD+ unbedingt angesprochen werden, wenn wir sicherstellen wollen, dass die Gewinne nachhaltig eingesetzt werden.

Sollte REDD reformiert werden?

Ich sehe REDD+ nicht nur kritisch. REDD+ hat in Nepal eine Plattform geschaffen, auf der sich indigene Gemeinschaften einbringen können. [Auch] vor dem REDD Programm mussten indigene Gemeinschaften die Möglichkeit bekommen, ihre Bedenken mitzuteilen und auf globalen, nationalen und lokalen Plattformen über ihre Anliegen sprechen zu können.

Das hat indigenen Gemeinschaften die Chance gegeben, sich einzubringen und ihre Themen und Bedenken anzusprechen. Sie können die Beamten davon überzeugen, wie wichtig es ist, den Stolz der indigenen Gemeinschaften anzuerkennen und ihre Anliegen ernst zu nehmen.

Denn sie sind es, die den Wald beschützen und bewirtschaften, und zwar nachhaltig, nicht nach dem Prinzip der Gier, sondern basierend auf Subsistenz-Landwirtschaft.

Es gibt also Fortschritte, ich sehe REDD+ nicht nur negativ.

Aber viele Dinge müssen angesprochen werden. Vor allem die Frage des Landbesitzes ist die größte Herausforderung im REDD+ Programm, mit der wir in Zukunft konfrontiert werden.

Zur Zeit wird die nationale Gesetzgebung zu Waldschutz überarbeitet. In Nepal sind wir jetzt in der Phase, in der wir eine neue Verfassung umsetzen. In dieser Phase werden verschiedene Gesetze und Bestimmungen auf nationaler, regionaler und Gemeinde-Ebene entwickelt.

Das bedeutet für uns die Chance, unsere Anliegen auf verschiedenen Ebenen in die Gesetze einzubringen. Menschen vor Ort haben die Gelegenheit, ihre Bedenken zu äußern. So können wir vermeiden, dass ihre Dörfer zu illegalen Siedlungen und sie selbst zu illegalen Holzfällern erklärt werden. Denn tatsächlich tragen sie ja zum Waldschutz bei, sie erhöhen die Resilienz [also die Widerstandsfähigkeit] gegen den Klimawandel und unterstützen den nachhaltigen Umgang mit Wald und natürlichen Ressourcen.