von Daniel Grünewald
„The state of communal land in Karamoja Region, Uganda“ – Mit diesem Titel war Esther Atem vom Karamoja Development Forum (KDF) am 23. April 2024 im Seminar „Pastoral Commons – Facing Globalization and Global Environmental Change“ an der Universität zu Köln zu Gast. Das Seminar wird im aktuell laufenden Sommersemester von Prof. Michael Bollig für Masterstudierende verschiedener Studiengänge angeboten und behandelt die Herausforderungen pastoraler Gemeinschaften in verschiedenen Teilen der Erde. Der Gastbeitrag von Esther Atem steht im Rahmen einer Kooperation zwischen dem KDF und dem Ethnologischen Institut der Universität zu Köln, die von INFOE koordiniert wird.
Zu Beginn ihrer Präsentation hat Esther Atem das KDF und dessen Arbeitsweise sowie die Region Karamoja vorgestellt: Das Karamoja Development Forum ist eine indigene Nicht-Regierungs-Organisation, die sich mit den Themen Landrecht, Governance und Pastoralismus beschäftigt und eine stärkere Einbeziehung der Karamojong-Gemeinschaften in Entscheidungsprozesse zum Ziel hat. Dadurch sollen die Rechte und Interessen der Karamojong auf nationaler Ebene geschützt und gefördert werden. Hierbei spielt auch die Zusammenarbeit und Kommunikation mit der ugandischen Nationalregierung in Kampala eine wichtige Rolle, denn dort besteht leider meist nur wenig Verständnis und Wertschätzung gegenüber der traditionellen Lebensweise der Karamojong.
Die ländliche Region Karamoja liegt im Nordosten Ugandas, umfasst eine Fläche von ca. 27.000 km² und eine Bevölkerung von ca. 1,4 Mio. Menschen. Die Bewohner gehören verschiedenen ethnischen Gruppen an, jedoch überwiegend den Ngakarimojong sprechenden Karamojong sowie den Kelengin sprechenden Pokot. Beide Gruppen leben traditionell in agropastoraler Lebensweise, ernähren sich also durch die Kombination von Ackerbau und mobiler Tierhaltung. Das Weideland wird hierbei traditionell in die Kategorien Adakari und Apeero eingeteilt. Adakari bezeichnet extensive, weitläufige, gemeinschaftlich genutzte Weideflächen mit saisonaler Mobilität. Apeero hingegen bezeichnet intensiv genutzte Weideflächen, die meist einzelnen Individuen oder Gruppen gehören und vor allem in der Regenzeit beweidet werden. In dieser Zeit wird auch der Ackerbau betrieben, daher befinden sich die Apeero meist in der Nähe der Dörfer. Insbesondere in der Regenzeit kommt es in Karamoja vermehrt zu Konflikten um Agrar- und Weideland. Zur friedlichen Lösung dieser Konflikte existieren in der Tradition der Karamojong zwei Instanzen: Ekokwa und Akiriket. Ekokwa ist ein gemeinschaftsorientiertes Entscheidungsorgan, das bei Konflikten einberufen wird und so lange bestehen bleibt, bis eine Lösung gefunden wurde, die für alle Konfliktparteien zufriedenstellend ist. Mit diesem Konsensprinzip wird garantiert, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft gleichermaßen Zugang zu den Agrarflächen erhalten. Bei Akiriket handelt es sich um eine Institution mit spirituellen, sozialen und politischen Funktionen. Im Akiriket wird über Entscheidungen, die im Ekokwa getroffen wurden, nochmals beraten und ein abschließendes Urteil gefällt. Das Urteil des Akiriket ist hierbei unantastbar, also für alle Konfliktparteien verbindlich. Ekokwa und Akiriket sind wichtige Teile der Tradition Karamojas und garantieren der Region seit Jahrhunderten Frieden und Gerechtigkeit. In jüngerer Zeit landen jedoch Konflikte aus Karamoja immer häufiger auch in Gerichtssälen und anderen juristischen Instanzen des Staates, was jedoch laut Esther Atem meistens nur eine weitere Zuspitzung der Konflikte zur Folge hat.
Ein weiteres wichtiges Thema, das Esther Atem in ihrem Beitrag behandelt hat, sind die traditionellen Geschlechterverhältnisse der Karamojong. Das traditionelle Landrecht basiert beispielsweise auf Erbschaft und Heirat. Männer erwerben Land, indem sie es von ihrem Vater erben. Frauen erwerben Land, indem sie einen Mann heiraten. Der Verkauf von Land hat in der Tradition der Karamojong eigentlich keinen Platz, jedoch gibt es heutzutage immer wieder Männer, die ihr Land gegen den Willen der eigenen Familie verkaufen und dadurch auch familiäre Konflikte auslösen. Auch beim Zugang zu den Entscheidungsorganen Ekokwa und Akiriket werden Frauen oft eingeschränkt: Während im Ekokwa zunehmend Frauen akzeptiert werden, wird das Akiriket als spirituelle und autoritäre Instanz nach wie vor stark von Männern dominiert. Für Esther Atem und viele weitere Karamojong-Frauen ist es ein wichtiges Anliegen, die Beteiligung von Frauen in den Entscheidungsorganen zu stärken und sich insgesamt für gerechtere Geschlechterverhältnisse einzusetzen.
In den letzten Jahrzehnten erlebte die Welt zahlreiche Prozesse und Veränderungen, die sich auch auf die Situation in Karamoja auswirkten: Der Klimawandel führt zu veränderten Niederschlagsmustern und einer Verschiebung der Regenzeiten. Die Globalisierung führt zu neuen wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region (z.B. Bergbau, Kohleindustrie, Holzwirtschaft, Tourismus). Flächen werden zunehmend privatisiert und derartig umgewandelt, dass sie für die Wanderhirten der Karamojong nicht mehr zugänglich sind. Auch der Ackerbau wird angesichts des Klimawandels immer unzuverlässiger und dennoch setzt die ugandische Regierung seit Jahren darauf, den Ackerbau in Karamoja zu fördern und die Menschen von der mobilen Tierhaltung abzubringen, um sie dauerhaft sesshaft zu machen. Weitere Konflikte entstehen durch die Schaffung neuer administrativer Einheiten und Grenzen, die die Pastoralisten in ihrer Mobilität einschränken. Dazu kommt die Tatsache, dass viele Karamojong Analphabeten sind und daher vom Verständnis neuer Gesetze und Richtlinien ausgeschlossen sind. Akteure, die an den Flächen der Karamojong interessiert sind, nutzen diese Tatsache oft aus und betrügen die Hirten mit undurchsichtigen Kaufverträgen. Aufgrund des Analphabetismus sind viele Karamojong machtlos gegenüber der zunehmenden Flächenverknappung und können nur schwer für ihre Rechte und Interessen einstehen. Auch in diesem Bereich arbeitet das Karamoja Development Forum für eine Verbesserung der Situation, beispielsweise durch einen leichteren Zugang zum Bildungssystem.
Der Gastbeitrag von Esther Atem stellt eine von mehreren Austauschbegegnungen dar, die im Rahmen der Partnerschaft zwischen dem KDF und dem Ethnologischen Institut der Uni Köln stattgefunden haben. Im Juni 2023 hat bereits Simon Longoli, ebenfalls vom KDF, in einem Seminar von Prof. Bollig einen Vortrag gehalten. Ebenso veranstaltete INFOE eine Wanderexkursion durch die Wahner Heide sowie eine hybride Diskussionsveranstaltung: Unter dem Titel „Was verbindet Kölner Hirt*innen mit den Karamojong in Uganda?“ wurde ein globaler Blick auf die Situation des Pastoralismus geworfen, wobei neben den Beiträgen aus Uganda auch Perspektiven aus Deutschland und Spanien zum Ausdruck kamen. Mehr Informationen zu den Veranstaltungen im Juni 2023 bietet folgender Artikel: https://www.infoe.de/blog_post/wir-erfahren-was-koelner-hirtinnen-mit-den-karamojong-in-uganda-verbindet/
Artikel zu einem Beitrag von Simon Longoli zu kultureller Resilienz im Rahmen des Fachforum Globales Lernen: https://www.infoe.de/blog_post/bericht-vom-workshop-zu-kultureller-resilienz-beim-fachforum-globales-lernen/