Im Rahmen der „BNE-Wochen“ der Deutschen UNESCO-Kommission und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, welche vom 1. bis zum 31. Mai 2021 stattfinden, luden INFOE und die „Indigenous Peoples Major Group“ am 12. Mai zu dem Workshop Kulturell diverse Wege zur praktischen Umsetzung von BNE auch in Zeiten der Pandemie ein.
Die Redner*innen, welche allesamt im Bildungsbereich tätig sind, waren der Direktor des Sustainable Development Institute (SDI) des College of the Menominee Nation Chris Caldwell aus den USA, Eulalie Dulnuan, Assistenz-Dozentin an der Ifugao State University von den Philippinen, Birgitta Goldschmidt, Promotorin für Schulgarten und BNE aus Koblenz, Sarah Laustroer, pädagogische Mitarbeiterin beim Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen e.V. (VNB), Isabel Queupil, Lehrerin an einer Grundschule in Chile und schließlich die Länderbeauftragte der Pestalozzi Children‘s Foundation namens Suraporn Suriyamonton aus Thailand.
Die zentralen Problematiken und Herausforderungen für die Umsetzung einer kultur- und natursensiblen BNE, welche aus den verschiedenen Beiträgen der Redner*innen hervorgingen, waren zum einen, der schwierige Zugang der indigenen Bevölkerung zu Bildung und insbesondere zu einer qualitativ hochwertigen und kulturell angemessenen Bildung, wie sie im nachhaltigen Entwicklungsziel (SDG) 4.7. gefordert wird. Wie Joan Carling – Vorsitzende der Indigenen Hauptakteursgruppe im Prozess zur Umsetzung der Agenda 2030 der VN – in ihrer Einführung anmerkte, leben 70% der indigenen Bevölkerung Asiens und Afrikas in ländlichen Regionen mit stark eingeschränktem Bildungszugang. Darüber hinaus erwähnten die Referent*innen, wie Chris Caldwell, dass der Zugang zu indigenem Wissen problematisch ist, vor allem für Leute außerhalb der indigenen Gemeinden. Man müsse es sich folglich zur Aufgabe machen, die umliegenden Gemeinden mit in den Bildungsprozess einzubinden, sprich eine „decolonization of education“ anzugehen.
Ein Schlüssel zu qualitativ hochwertiger Bildung für indigene Gruppen ist die jeweilige Muttersprache, die wesentlich für das Herausbilden der eigenen Identität ist und darüber hinaus indigenes Wissen, Traditionen und kulturelle Werte transportiert. Letzteres erfährt durch die Covid-19 Pandemie eine besonders große Bedeutung, da viele indigenen Wissensträger*innen und Älteste bereits an Covid-19 gestorben sind und ihre Rolle der Weitergabe von Wissen und Traditionen nicht mehr erfüllen können. Ein erfolgreiches Beispiel für muttersprachlichen Unterricht ist das Programm „Mother Tongue Based Multilingual Education“, welches Frau Suriyamonton vorstellte. Jüngere Kinder erlernen hier zunächst die indigene Muttersprache anhand von Materialien, die das jeweilige kulturelle Wissen einbeziehen. Nach und nach fließen Thai-Begriffe und Konzepte ein, bis schließlich in der Oberstufe die Hauptfächer in Thai und die Muttersprache als Fach unterrichtet werden. Traditionelles und zeitgenössisches Wissen fließen somit zusammen und ergänzen sich gegenseitig. Auch Frau Queupil berichtete über teilweise spielerische Methoden zum Erlernen der indigenen Mapuche-Sprachen in der Grundschule. Das holistische Konzept sieht vor, dass nicht nur sprachliche Fähigkeiten, sondern vor allem die Persönlichkeit der Schüler*innen nach dem Vorbild der Mapuche-Traditionen gestärkt wird.
Ein weiteres Thema, welches in vielen Beiträgen der Redner*innen auftauchte, war die enge Verbindung zur Natur während der Bildungsprozesse. So stellte beispielsweise Frau Goldschmidt ihr Schulgarten-Projekt vor, welches sie als „Lernen in und von der Natur“ beschrieb und in dessen Mittelpunkt die Bildung für nachhaltige Entwicklung steht. Hier wird Wissen über Wassermanagement, Globales Lernen oder auch Permakultur in Schulgärten vermittelt. Der Schulgarten ist für Frau Goldschmidt das “ideale lebensnahe Labor für BNE“, da alle Kompetenzen vermittelt werden.
Als weitere Herausforderung nannten viele Redner*innen die Finanzierung ihrer Projekte, sei es für die Aus- und Fortbildung von multilingualen Lehrer*innen, für die verschiedenen Schulgartenprojekte oder auch um die Digitalisierung in ländlichen Räumen zu erreichen.
Zu den Hauptunterschieden zwischen den Akteur*innen der indigenen und der deutschen Bildungsbemühungen ist neben der unterschiedlichen Gewichtung der Muttersprache vor allem die Dringlichkeit hervorzuheben, überhaupt erstmal das indigene Wissen zu sammeln und zu archivieren, so wie dies Frau Dulnan mit ihrem Arbeitsbuch zum kulturellen Wissen der Ifugao und ihrer Tradition des Reisterrassenbaus in Angriff nahm.
Abschließend stellen wir ein Zitat vor, welches Frau Laustroer nutzte, um ihre Sicht auf BNE zu veranschaulichen: „Even if not every flower is identical, or may not live the same length of time, it serves its purpose of continuity in diversity. “ Damit gab sie uns mit auf den Weg, dass die verschiedenen kulturellen Konzepte von Natur, Kultur und Bildung umfassend und vielfältig sind und dass Diversität und Multiperspektivismus bereichern. Dies ist auch eine der zentralen Elemente des ‘Global call to re-think education – learn to change!‘, der vom Learn2Change – dem von Frau Laustroer mitbegründeten Globalen Netzwerk von Bildungsaktivist*innen – Ende 2020 angesichts der Covid-19 Krise herausgebracht wurde. Kulturell diverse Wege in der Umsetzung von BNE können somit nicht nur Beiträge für die Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele, insbesondere für Ziel 4.7, leisten, sondern auch zur Überwindung von Krisen.
Moritz Hackethal und Reinhild Bode