von Simon Peter Longoli
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben immer noch mehr als 700 Millionen Menschen oder 10% der Weltbevölkerung in extremer Armut. Dabei gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf Menschen, die in extremer Armut leben, denn auf 100 Männer kommen 122 Frauen in der Altersgruppe der 25-34-Jährigen, die in extremer Armut leben. Sie überleben mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag. In den meisten Situationen garantiert ein Arbeitsplatz allein noch kein angemessenes Leben. Tatsächlich lebten 8 Prozent der weltweit beschäftigten Arbeitnehmer*innen und ihrer Familien im Jahr 2018 in extremer Armut. Armut hat viele Dimensionen, aber ihre Ursachen sind vor allem Arbeitslosigkeit, fehlender Landzugang, soziale Ausgrenzung und eine hohe Anfälligkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen für Katastrophen, Krankheiten und andere Phänomene, die sie daran hindern, produktiv zu sein. Wachsende Ungleichheit untergräbt den sozialen Zusammenhalt, verstärkt die politischen und sozialen Spannungen und führt unter Umständen zu Instabilität und Konflikten.[1]
Nach Angaben der ugandischen Regierung ist Karamoja die Region mit den höchsten Armutsindikatoren des Landes, mit 61% einer Gesamtbevölkerung von 1,2 Millionen in Armut lebenden Menschen, während der Landesdurchschnitt bei 21% liegt. 24% der Bevölkerung sind in chronischer Armut gefangen, mehr als das Doppelte des nationalen Durchschnitts von 10%.
Die Region Karamoja hat eine jahrzehntelange Konfliktgeschichte, die erst nach dem Ende eines Abrüstungsprogramms der Regierung im Jahr 2010 zu einem relativen Frieden kam. Die Bevölkerung besteht überwiegend aus Pastoralist*innen, die die schlimmsten Formen der Ungleichheit im Vergleich zum Rest des Landes erfahren, insbesondere in Bezug auf ihre Armutsquoten in verschiedenen Bereichen. Während 86% der ugandischen Bevölkerung Zugang zur Gesundheitsversorgung innerhalb der empfohlenen Entfernung haben, sind es nur 17% der Bevölkerung in Karamoja, die einensolchen Zugang zur Gesundheitsversorgung hat. Diese Ungleichheit zeigt sich auch in der unterschiedlichen Müttersterblichkeit, wo bei 100.000 Lebendgeburten 588 Frauen sterben im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 336.
Unterziel Nummer 5 des nachhaltigen Entwicklungsziels 1 “Keine Armut” (SDG 1.5.) will die Widerstandsfähigkeit der Armen und der Menschen in prekären Situationen erhöhen und ihre Exposition und Anfälligkeit gegenüber klimabedingten Extremereignissen und anderen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Schocks und Katastrophen verringern. Die folgende Geschichte handelt von den Karamojong-Pastoralist*innen, die durch die Anwendung traditioneller Prinzipien des Ressourcenzugangs und des Teilens von Ressourcen Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaschocks erlangen.
Die Karamojong im Nordosten Ugandas sind überwiegend Pastoralist*innen mit einer reichen kulturellen Tradition, die im Vergleich zu anderen ugandischen Gesellschaften erst seit Kurzem von äußeren Einflüssen heimgesucht wird. Die Mehrheit bildet die Sprachgruppe der Karimojong neben anderen kleineren Sprachgruppen wie Tepes, Jie, Dodoth, Ik, Nyangea, Ethur und Pokot. Die Tierhaltung ist das Kernstück ihrer Wirtschaft und eine an ihre Umwelt angepasste Praxis, da die geringen jährlichen Niederschlagsmengen unregelmäßig sind. Daher wird das Vieh hauptsächlich in einem Transhumanz-System gehalten – wo Hirten mit dem Vieh von einem Ort zum anderen ziehen, um auf die Weiden zu gelangen.
Für die Karamojong-Völker hat sich Etamam, was wörtlich “Senden der Nachricht” bedeutet, im Laufe der Zeit zu einem ausgeklügelten Mechanismus und Prozess des Zugangs und der Nutzung von Ressourcen durch Pastoralist*innen unter anderem in Zeiten von Klimastress entwickelt, um den Zugang zu kritischen Ressourcen sicherzustellen. Dabei sendet eine Person oder eine Gruppe eine Nachricht an eine andere Gruppe und bittet um Hilfe bei der Suche nach Wasser- und Weideplätzen bzw. um Erlaubnis ihre Tiere im Gebiet der ‘Gastgemeinde’ weiden und tränken zu dürfen. In der Gruppe bzw. Gemeinde, die den Hilferuf oder die Anfrage erhält, findet dann ein Prozess der Information, Beratung und Entscheidungsfindung statt, um schließlich auf die Anfrage reagieren zu können. Dabei wird einem bestimmten Protokoll gefolgt, an das sich alle halten. Dieser Mechanismus trägt dazu bei, ein empfindliches und komplexes Gleichgewicht der Beziehungen herzustellen und sicherzustellen, dass Ressourcen der Pastoralist*innen auch in Konfliktzeiten ein wichtiger Faktor für Frieden und Zusammenarbeit sind.
Pastoralismus lebt von Mobilität und Etamam ist der entscheidende Mechanismus, der die erfolgreiche und konfliktfreie Bewegung von Pastoralist*innen beim Zugang zu Ressourcen sicherstellt. Die Praxis wurde seit Generationen beibehalten und wird auch weiterhin von der jungen Generation gepflegt, um das Überleben der Tiere zu sichern und einen gerechten Zugang und eine nachhaltige Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten.
Die Erfahrung der Karamojong zeigt uns, dass es notwendig ist, Ressourcen gemeinsam zu nutzen und dafür friedliche Mechanismen einzurichten. In Karamoja wurde eine umfassende Reihe an Institutionen, Prozessen und Mechanismen unter Pastoralist*innen geschaffen, die im Laufe der Zeit aufrechterhalten wurden, um diesen Zugang in stressigen Zeiten zu ermöglichen. Auf diese Weise können die negativen Auswirkungen des Klimawandels besser bewältigt werden – da die kollektive Widerstandsfähigkeit unserer Gemeinschaften erhöht wird. Wie die Pastoralist*innen von Karamojong sagen: “Angesichts des Klimawandels schaffen wir gemeinsam Erfolg, allein scheitern wir.”
(Übersetzung Sabine Schielmann)
[1] https:www.un.org/sustainabledevelopment/poverty
Zusatzinfo: Zurzeit der Veröffentlichung dieses Beitrags waren die Karamojong wie andere Menschen in Ostafrika von der Heuschreckenplage betroffen. Die Heuschreckenschwärme waren über ihre Gebiete hinweggezogen und hatten dabei ihre Eier abgelegt. Die geschlüpften Nymphen verursachten einen großen Schaden. Eine derartige Katastrophe stellt traditionelle Mechanismen wie Etamam auf eine harte Probe. Die Ressourcen, die von den Heuschrecken nun kahlgefressen wurden, stehen nicht mehr zur Verfügung bzw. wurden – zu stark – reduziert. In solchen Fällen braucht es eine Unterstützung der lokalen Mechanismen, die ihr Weiterbestehen, den Erhalt der Ressourcen und das Überleben der Menschen ermöglichen.
Weitere Informationen zur Situation der Karamojong im Zusammenhang mit der Heuschreckenplage finden Sie hier im Kurzbericht von Lucy Manang vom Karamoja Development Forum.
Informationen zu den Karamoja und Etamam finden Sie in Kürze auf der Webseite des Karamoja Development Forum www.kdfug.org Dort finden Sie auch Unterstützungsmöglichkeiten.