Die wirtschaftliche Dimension ist eine der Dimensionen von nachhaltiger Entwicklung. Um als Gemeinschaft oder Gesellschaft fortbestehen zu können, braucht es wirtschaftliche Entwicklung. Entscheidend für eine nachhaltige Wirtschaftsweise und Entwicklung sind die zugrundeliegenden Wert- und Zielvorstellungen, die wiederum die Rahmenbedingungen für das wirtschaftliche Handeln einer Gesellschaft hervorbringen.

In einer auf Wachstum, Wettbewerb und Gewinn ausgerichteten Wirtschaftsweise werden viele zurückgelassen, die nicht teilhaben und mitbestimmen können, weil ihnen Zeit, Bildung, Information, Energie, Mut oder auch Eigennutz fehlen. Eine resiliente Infrastruktur, wie sie in SDG 9 gefordert wird, bedeutet daher, dass bereits die Rahmenbedingungen für Arbeit, Handel, Institutionen, Ressourcennutzung, Organisationsweisen, Versorgung u.a. von Menschen einer Gesellschaft gemeinsam gestaltet werden, so dass sich alle mit ihren Fähigkeiten einbringen und teilhaben können.

Bei den Jenu Kuruba im südlichen Indien steht die Tätigkeit des Honigsammelns mit den dazugehörigen Bräuchen und Wissen im Zentrum. Die Jenu-Kuruba gehören zu den indigenen Völkern Indiens – auch Adivasi genannt – und leben im Bezirk Kodagu, an der südlichen Grenze des Bundesstaates Karnataka in Südwestindien. Das Lebensgebiet der Jenu Kuruba liegt in einem Biodiversitätshotspot mit zahlreichen Wald- und anderen Schutzgebieten. Der Bezirk Kodagu ist neben dem Kaffeeanbau auch bekannt für seine Honigproduktion. Die Jenu Kuruba – was in der lokalen Sprache ‘Honigsammler’ bedeutet – zählen etwa 30.000 Personen, für die das Sammeln von Honig seit Generationen eine wichtige wirtschaftliche und zentrale kulturelle und spirituelle Aktivität darstellt. [1]

Das Leben im Wald bzw. am Waldrand, mit Zugang zu den Ressourcen des Waldes, ist für die kulturelle Identität der Jenu Kuruba zentral. Der Wald ist der Ort der Ahnen und der Götter, ein Zuhause, das nährt, versorgt und erhält. Seit jeher haben die Jenu-Kuruba im Einklang mit dem Wald und den Tieren gelebt und sich die Ressourcen wie Honig geteilt, sie also nachhaltig genutzt. [2] Ihre Dörfer liegen bis zu 5km innerhalb der Grenzen von Reservewäldern, wo die indigene Bevölkerung Wohnrechte hat. Als der Zweck der Reservewälder sich verstärkt hin zum Naturschutz gewandelt hat, wurden viele Adivasi an die Grenzen der Waldgebiete umgesiedelt. Als landesweite Antwort auf die eingeschränkten Rechte der Adivasi wurde 2006 das Gesetz über die Anerkennung von Waldrechten von Registrierten Stämmen und anderen Waldbewohner*innen [3] (kurz: Waldrechts-Gesetz) verabschiedet. Dieses gibt den Adivasi Rechte, Waldgebiete zu bewohnen, kleinere Waldprodukte zu sammeln, die Produkte aus Flüssen und Seen zu verwenden und Tiere weiden zu lassen. [4] Für die Jenu Kuruba bedeutete dieses Gesetz bisher den Zugang zum Wald und den wilden Honigbienen darin und stellte somit im Sinne des SDG 9.b. ein förderliches politisches Umfeld dar, das eine diversifizierte Nutzung der Waldressourcen für die Jenu Kuruba ermöglichte.

Für den Erhalt von wirtschaftlichen Praktiken und damit verbundenem traditionellen Wissen und Fähigkeiten, sind nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische und insbesondere ökologische Faktoren entscheidend. Ohne die Möglichkeit im Wald bzw. in der Nähe des Waldes zu leben und Zugang zu Ressourcen wie Honig zu haben, kann die Lebens- und Wirtschaftsweise der Jenu-Kuruba nicht aufrechterhalten werden. Die nachhaltige und resiliente Infrastruktur bei den Jenu Kuruba, ihr menschliches und kulturelles Wohlergehen sowie ihre wirtschaftliche Entwicklung sind unmittelbar von ihrem traditionellen Lebensgebiet und dem gesicherten Zugang zu den natürlichen Ressourcen abhängig (SDG 9.1.). Zwangsumsiedlungen wie sie 2019 für Waldbewohner*innen ohne schriftliche Beweise der angestammten Verbindung zum Land drohten und teilweise stattfanden, sind in jeder Hinsicht lebensbedrohlich für die Jenu Kuruba. [5] Die jüngsten Nachrichten lassen leider befürchten, dass die Bedrohungen der Jenu Kuruba, ihres Wissens und ihrer Lebensweise durch Wildtierschutzprojekte weiterhin bestehen. [6]

Quellen und weiterführende Informationen

K. Demps & F. Zorondo-Rodriguez & C. García & V. Reyes-García (2012): The Selective Persistence of Local Ecological Knowledge: Honey Collecting with the Jenu Kuruba in South India. Published online: 19 May 2012. http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.710.5804&rep=rep1&type=pdf


[1] Demps, S. 428

[2] Filminfo: The Bee, the Bear and the Kuruba http://infochangeindia.org/film-forum/6245-the-bee-the-bear-and-the-kuruba.html

[3] The Scheduled Tribes and Other Traditional Forest Dwellers (Recognition of Forest Rights) Act

[4] Demps S. 429

[5] https://forestsnews.cifor.org/59919/forest-dwellers-face-mass-evictions-as-species-extinction-threatens-global-food-supply?fnl=en

[6] https://www.survivalinternational.org/news/12320