Sophia Lippemeier – Praktikantin bei INFOE und Stundentin der Ethnologie – blickt zurück auf die Entwicklung der Aktionsethnologie, die dem Selbstverständnis des INFOE und seiner Tätigkeit zugrunde liegt.

Aktionsethnologie kann am besten verstanden werden als Blickwinkel oder Set an Werten, mit denen Feldforscher*innen an ihr Feld herantreten. Sie ist damit ganz maßgeblich dafür, wie indigenes Wissen und Lebensweisen betrachtet werden. Seit den 1940ern, den Anfängen der Aktions-Ethnologie, hat sich in der Welt, der Ethnologie, und der Feldforschung einiges getan, und somit auch in der Auslegung des Konzeptes ‚Aktions-Ethnologie‘. Aber um dieses Konzept besser zu verstehen, lohnt sich ein Einblick in den Kontext seiner Entstehung und seinen damals grundlegenden Werten.
Cover des infoemagazin Nr.13: Themen wie die Revitalisierung kultureller Praktiken und der Erhalt indigener Sprachen sind auch heute noch essentiell für indigene Völker im Umgang mit Krisen und einer kulturell basierten nachhaltigen Entwicklung. Infoe unterstützt indigene Gemeinschaften in diesen Bemühungen mit seiner Bildungs-, Informations- und Advocacy Arbeit.

Dafür blicken wir zurück in die Ethnologie der 1940er: Diese diente als wichtiges politisches Instrument der fortlaufenden Kolonisierung indigener Völker, denn sie sollte helfen, das als ‚fremd‘ Erscheinende systematisch verwaltbar zu machen. In diesem Kontext begann eine Gruppe amerikanischer Forscher*innen, darunter der berühmte Ethnologe Sol Tax, eine Feldforschung bei den Meskwaki, auch bekannt als Fox. Ziel der Forschung war, ihre Armut zu bekämpfen – die Annahme, dass die Meskwaki unter dieser leiden würden, bewahrte sich jedoch nicht. Denn, wie sich herausstellte, wollten sie weder beforscht werden noch ihre Armut loswerden: Ihr eigentliches Problem war die Akkulturation durch die Amerikaner, während die Armut lediglich als bewusst gewählte Tarnung für die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität galt. Ihre Verweigerung, sich zum Forschungsobjekt zu machen, zeigte dem Ethnolog*innen-Team, dass die traditionellen Forschungsansätze nicht länger funktionieren würden. So entstand ein Dialog zwischen beiden Parteien, der die Geburtsstunde der Aktions-Ethnologie markierte.

Kommunikation war also ein Grundpfeiler dieser Aktions-Ethnologie. Sie ist zeitgleich von erheblicher Bedeutung für die Position, die den beiden Gruppen einer Forschung zukommt. Im Gespräch kommen Indigene selbst zu Wort und interagieren mit den Forschenden. Während sie in der damaligen Ethnologie als Objekt der Forschung verstanden wurden, müssen sie in der dialogorientierten Aktions-Ethnologie als Subjekt gelesen werden, das eigene Gedanken, Grenzen, und Erwartungen an die Forschung mitbringt. Somit bewegte sich Tax‘ Forschungsgruppe in Richtung eines gerechteren, menschlicheren Umgangs mit den Meskwaki, und erlangte dabei auch tiefere wissenschaftliche Erkenntnisse. In der heutigen Ethnologie ist dies auch außerhalb aktionsethnologischer Ansätze zum Standard geworden, und so spricht man nicht mehr von einem Forschen ‚über‘, sondern einem Forschen ‚mit‘. Diese Gleichstellung hilft, damals wie heute vorhandenen kolonialistischen Machtstrukturen in der Forschung entgegenzuwirken, und somit die Distanz zwischen beiden Parteien zu lindern.

Von diesen Überlegungen ausgehend definierten Tax und sein Team auch ihre Rolle als Ethnolog*innen neu. Standardmäßig war es ihre Aufgabe, mit zuvor festgelegten Theorien zu forschen, und dabei eigenhändig gewählte Ziele durchzusetzen. Eine Herangehensweise, welche sich in ihrer Praxis nicht bewiesen hatte. Und spricht man den Indigenen die Subjektposition zu, so lässt sich dieser Versuch auch in der theoretischen Betrachtung nicht verteidigen. Somit wurde die Rolle der Ethnolog*innen in der Aktions-Ethnologie zu der eines ‚Katalysators‘: Ihre Aufgabe war es, die Indigenen bei deren selbstbestimmter Problemlösung zu unterstützen. Die Bewahrung des indigenen Rechtes auf Entscheidungsfreiheit und Selbstbestimmung war und ist ein grundlegender Wert, nach welchem die aktionsethnologische Forschung gestaltet wird. Damit hob sie sich von der Ethnologie ihrer Zeit ab, und ebnete den Weg in eine neue Richtung ethnologischer Feldforschung.

Wer mehr über das Thema erfahren möchte, kann hier (Action Anthropology on JSTOR) Sol Taxs Artikel über die Grundzüge der Aktions-Ethnologie lesen.

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