von Daniel Grünewald
„Die wichtige Rolle indigener Pastoralisten und ihrer kulturellen Praktiken, Kenntnisse und Institutionen im Hinblick auf die Herausforderungen rund um Klimawandel, Biodiversität und Landwirtschaft wird in zunehmendem Maße anerkannt. Allerdings wird das Potential von (indigenen) Pastoralisten in der Entwicklungs-, Politik-, Forschungs- und Bildungspraxis nicht ausreichend erkannt und Maßnahmen zur Stärkung dieser Potentiale werden nicht effektiv in die Praxis umgesetzt. Wir werden diskutieren, warum das so ist und was es braucht, um diese Situation zu ändern.“ – Mit diesem Ziel organisierte INFOE beim diesjährigen ‚GIZ LandHub‘ am 13. Dezember 2023 einen Informations- und Erfahrungsaustausch unter Expert*innen und Interessierten.
Zur Diskussion über die aktuellen Chancen und Herausforderungen des Pastoralismus hat INFOE erneut einige Expert*innen eingeladen: Sabine Dorlöchter-Sulser, die bei Misereor als Referentin für ländliche Entwicklung arbeitet, hat im Rahmen der Veranstaltung eine thematische Einführung in die ökologischen Potentiale des Pastoralismus gegeben. Prof. Michael Bollig vom Ethnologischen Institut der Universität zu Köln hat sich im Rahmen seiner Forschung insbesondere mit pastoralen Gemeinschaften in Kenia und Namibia auseinandergesetzt. Simon Longoli und Emmanuel Tebanyang haben das Karamoja Development Forum (KDF) vertreten und ihre Perspektiven und Erfahrungen aus Karamoja in Uganda geschildert.
Die ökologische Bedeutung pastoraler Wirtschaftsweisen ist vielfältig und hängt mit den verschiedenen Ökosystemdienstleistungen zusammen, zu denen die Pastoralisten beitragen. Durch Pastoralismus wird die Biodiversität geschützt und gestärkt, beispielsweise, da die Tiere als Samentaxis fungieren und auch das Keimen der Pflanzensamen begünstigen. Ebenso trägt eine pastorale Landnutzung zum Bodenschutz bei und erhöht die Wasserspeicherkapazität sowie die Fruchtbarkeit der Böden. Das Waldbrandrisiko kann erheblich gesenkt werden, indem die Tiere hohe Gräser und Gestrüppe fressen und dadurch eine Verbuschung der Landschaft verhindern. Nicht zuletzt fördert Pastoralismus durch den Erhalt naturnaher Gras- und Buschlandschaften die Kohlenstoffbindung und stellt somit auch eine Strategie zur Mitigation des Klimawandels dar.
All diese wichtigen Beiträge, die der Pastoralismus leistet, werden jedoch immer wieder verkannt und missverstanden. Pastoralisten haben oft mit negativen Vorurteilen zu kämpfen und werden auf vielfältige Weise marginalisiert und diskriminiert. In vielen Ländern ist ein Zugang zu Bildung, zum Gesundheitswesen sowie zu grundlegenden Ressourcen wie Land und Wasser an einen festen Wohnsitz gebunden, wodurch pastorale Gemeinschaften von diesen Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Neben den Programmen der Regierungen zur Sedentarisierung, also zur systematischen Sesshaftmachung der Pastoralisten, wird durch die Marginalisierung und Diskriminierung mobil lebender Menschen weiterer Druck auf diese ausgeübt, wodurch einige von ihnen zu einem festen Wohnsitz und dadurch zur Vernachlässigung ihrer pastoralen Lebensweise gedrängt werden. Dazu kommt, dass Pastoralisten häufig mit mächtigen Akteuren um ihr Land konkurrieren müssen, da immer mehr Land für den Ressourcenabbau, für grüne Energieparks, für bewässerten Ackerbau, für Naturschutzgebiete oder für touristische Nutzungen beansprucht wird. Insgesamt kann also resümiert werden, dass Pastoralisten vielerorts unter widrigen Umständen arbeiten müssen und in ihrer Lebensweise zahlreiche Steine in den Weg gelegt bekommen. Damit sich dies ändert, fordern die Expert*innen die Umsetzung effektiver Strategien und Instrumente:
Zunächst müssen mehr Regierungen anerkennen, dass Pastoralisten ein Recht auf Land und Ressourcen haben und dass dieses Recht aktiv gestärkt werden muss. Ebenso sollten Rechtsexpert*innen mit lokalen Gemeinschaften kooperieren, um die rechtlichen Rahmenbedingungen an pastorale Lebensweisen anzupassen. Auch für den Bildungssektor wünscht sich Simon Longoli ein Umdenken; einerseits durch die Einbindung von indigenem und pastoralem Wissen in die Lehrinhalte, andererseits durch die Schaffung mobiler Bildungsformate, mit denen pastoral aufwachsende Kinder und Jugendliche nicht weiter vom Bildungssystem ausgeschlossen bleiben. Auch andere Sozialdienstleistungen wie beispielsweise das Gesundheitssystem sollten stärker an der Lebensrealität von Pastoralisten ausgerichtet und für diese zugänglich gemacht werden, um auch in diesem Bereich die Benachteiligung der Pastoralisten zu reudzieren. Ebenso braucht es weiterhin wissenschaftliche Studien zu den Potentialen und Beiträgen des Pastoralismus, nicht zuletzt, um dessen Akzeptanz in der Bevölkerung sowie dessen Bedeutung für die Entwicklungs- und Politikpraxis zu stärken.
Der GIZ LandHub ist eine jährlich stattfindende Vernetzungs- und Wissensveranstaltung zu den Themen Landrecht und Landmanagement, an der Vertreter*innen der deutschen und internationalen Zusammenarbeit, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft teilnehmen. In diesem Jahr legte der LandHub einen thematischen Fokus auf die aktuelle Bedeutung der drei Rio-Konventionen UNCCD, CBD und UNFCCC, die im Juni 1992 beim Earth Summit in Rio de Janeiro beschlossen wurden. Weitere Schwerpunkte waren die Bekämpfung von Korruption sowie die Bedeutung der 2015 von der UN beschlossenen ‚Ziele für Nachhaltige Entwicklung‘ (SDGs). Der LandHub wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ausgerichtet und hat in diesem Jahr zum achten Mal stattgefunden.
Sehen Sie hier die Präsentation von Simon Longoli und Emmanuel Tebanyang
Aktuelle Informationen zur Situation des Pastoralismus in Karamoja:
Egeru, A., Arasio, R. L., and Longoli, S. P. 2023. Water and Rangeland in Karamoja: Trends, preferences, and status of indigenous and introduced resources and systems. Karamoja Resilience Support Unit, Feinstein International Center, Friedman School of Nutrition Science and Policy at Tufts University, Kampala.
sowie einen Online-Kurs zu Pastoralismus von Misereor und IIED: