Von Rodion Sulyandziga, CSIPN (Zusammenfassung übersetzt von Sabine Schielmann)
Im September 2019 signalisierte die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in einer starken Botschaft, dass die Jugend sich nun weigert weiter am Rand zu sitzen und bereit ist, den Kampf gegen den Klimawandel aufzunehmen. Der Drang, die Auswirkungen des Klimawandels anzugehen, steht seit Anfang der 2000er Jahre ganz oben auf der Agenda der Vereinten Nationen. 2015 wurden die Nachhaltigkeitsziele für das Jahr 2030 (auch als Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bekannt) von allen Ländern der Vereinten Nationen verabschiedet. Unter den 17 internationalen Entwicklungszielen zur ‘Transformation der Welt’ fordert das Sustainable Development Goal (SDG ) # 13 die Länder auf, Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen zu ergreifen.
In den letzten Jahrzehnten war ‘nachhaltige Entwicklung’ sowohl Gegenstand akademischer Forschung als auch Ziel staatlicher Politik. Trotz der aufkommenden Auffassung von indigenen Völkern als den Urheber*innen einer nachhaltigen Entwicklung und Hüter*innen der biologischen Vielfalt wurde jedoch die Bedeutung und Relevanz ihres traditionellen Wissens für Nachhaltigkeits- und Umweltprojekte lange Zeit nur unzureichend verstanden. Da indigene Völker und Naturschützer*innen angeblich unterschiedliche Anliegen haben, sind Konflikte zwischen indigenen Gemeinschaften und Umweltorganisationen, einschließlich zwangsweiser Umsiedlung indigener Völker, der Einführung von Vorschriften, welche die wirtschaftlichen Aktivitäten und den Ressourcenverbrauch indigener Völker einschränken sowie mangelnde Konsultation mit Indigenen in Entscheidungsprozessen zur Landnutzung in allen Schutzgebieten der Welt weit verbreitet (Siehe hierzu auch Report of the Special Rapporteur on the rights of indigenous peoples – Conservation measures and their impact on indigenous peoples’ rights UNGA A/71/229)
Trotz dieses komplizierten Erbes der modernen Naturschutzbewegung schließen sich Rechte der Ureinwohner und Umweltziele nicht gegenseitig aus. Da indigene Gemeinschaften die lokalen Ökosysteme am besten kennen und die größten und unmittelbarsten Interessen daran haben, sie zu erhalten, ist ihr Platz nirgendwo sonst als an der Spitze von Schutzgebietsprojekten. Heutzutage gewinnen indigene Gemeinschaften an Einfluss in Schutzgebietsinitiativen, denn große Teile des Territoriums indigener Völker liegen in Nationalparks und anderen Arten von Schutzgebieten, die zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und der globalen Nachhaltigkeit ausgewiesen werden.
Dies zeigt auch das Beispiel des Beitrags der Ureinwohner*innen sowie die führende Rolle der Jugend und ihres Engagements für den Klimaschutz innerhalb des Regierungsprogramms für besondere Schutzgebiete, das in Russland seit fast 100 Jahren besteht. Während in der Realität in Russland der Ausbeutung natürlicher Ressourcen Vorrang vor einem sinnvollen Umweltschutz eingeräumt wird, bietet die Bikin-Nationalpark-Initiative eine fruchtbare Grundlage, um die Rolle indigener Gruppen in einer gemeinschaftlichen Entwicklung neu zu definieren und die Ansätze für den Einbezug indigener Fachkenntnisse und Praktiken zu überdenken. Die Erfahrungen indigener Völker mit einer aus dem Gleichgewicht geratenen Umwelt und tiefgreifenden Auswirkungen auf ihre Gesellschaft bilden eine zentrale Grundlage für gemeinschaftsbasierte Lösungen auch für andere indigene Völker weltweit und tragen zu zentralen Debatten und Konzepten zur Stärkung indigener Völker bei. Die Erkenntnisse aus der Bikin-Nationalpark-Initiative zeigen, wie das Wissen der indigenen Völker, ihr Engagement für Territorium und Kultur sowie ihre kollektive Selbstverwaltung und Institutionen die globale Nachhaltigkeit stärken, legitimieren und bereichern.
Der Klimawandel ist ein gemeinsames Anliegen der Menschheit, seine Risiken sind jedoch ungleich verteilt. Aufgrund ihrer engen Beziehungen zur Umwelt sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte für indigene Gemeinschaften unmittelbarer und dramatischer spürbar, denn sie sehen sich als untrennbar mit der Natur verbunden und fühlen sich als Hüter*innen fragiler Ökosysteme weltweit für den Schutz von Ökosystemen verantwortlich. In Verbindung mit dem raschen Anstieg verschiedener Geschäfts- und Handelsinteressen an und in indigenen Gebieten stellen Umweltveränderungen eine Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit der Ureinwohnergemeinschaften dar, mit negativen Auswirkungen auf ihre Gesundheit, Ernährungssicherheit und Kultur.
In den letzten Jahren wurden die Diskussionen über den Klimawandel durch die Einbeziehung indigener Stimmen bereichert. Dementsprechend wurde die Bedeutung des Handelns indigener Völker in der Klimaschutzpolitik von Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und internationalen Institutionen bestätigt. SDG 13 und seine Unterziele 13.1 “Die Widerstandskraft und die Anpassungsfähigkeit gegenüber klimabedingten Gefahren und Naturkatastrophen in allen Ländern stärken” und 13.3 “Die Aufklärung und Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klimawandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Klimaauswirkungen sowie der Frühwarnung verbessern” haben die wichtige Rolle der traditionellen Kenntnisse und Praktiken indigener Völker für nachhaltige Entwicklung, Anpassung und Abschwächung der Auswirkungen des Klimawandels sichtbar gemacht.
In letzter Zeit sind ‘gemeinschaftsorientierte Schutzgebiete für indigene Völker und lokale Gemeinschaften’ zu einer wirksamen Möglichkeit des Schutzes und Erhalts des traditionellen Wissens indigener Völker geworden. Die Gewährleistung von Land- und Ressourcennutzungsrechten und die direkte Einbeziehung indigener Gemeinschaften und Jugendlicher mit ihren eigenen Verwaltungsstrukturen sind von zentraler Bedeutung für den Erfolg von gemeinschaftsbasierten Schutzgebietsprojekten und für die Erreichung nachhaltiger Entwicklungsziele im Allgemeinen.