von Daniel Grünewald

Unter dem Titel „(Wander)-Weidewirtschaft heute – Was verbindet Kölner Hirt*innen mit den Karamojong in Uganda?“ hat das Institut für Ökologie und Aktionsethnologie am 29. und 30. Juni 2023 zu zwei Veranstaltungen eingeladen, bei denen ein vielseitiger und aktueller Blick auf die Themen Pastoralismus und Wanderweidewirtschaft sowie auf deren Relevanz geworfen wurde. Hierbei wurden die diversen Potentiale von Pastoralismus thematisiert, etwa hinsichtlich der Themen Klimaschutz und Ernährungssicherheit, ebenso wie die komplexen Herausforderungen und Bedrohungen, denen pastorale Gemeinschaften heute gegenüberstehen.

®Daniel Grünewald

Für einen hautnahen Einstieg in die Thematik veranstaltete INFOE am 29. Juni eine Wanderexkursion durch die Wahner Heide, einem Naturschutzgebiet im Raum Köln/Bonn, das sein heutiges Erscheinungsbild der Beweidung durch Ziegen, Esel, Glanrinder und Wasserbüffel zu verdanken hat. Begleitet und geführt wurde die Exkursionsgruppe von Thomas Stumpf aus Rösrath bei Köln, der auf über 25 Jahre Erfahrung als Schaf- und Ziegenhirte zurückblicken kann und die Wahner Heide somit in- und auswendig kennt. An ihm konnten die Teilnehmenden ihre Fragen zum Thema Wanderweidewirtschaft loswerden sowie einen detaillierten Einblick darin erhalten, was es bedeutet, heutzutage als Schaf- und Ziegenhirte im Raum Köln/Bonn unterwegs zu sein. Simon Peter Longoli, der Vorsitzende des Karamoja Development Forum, konnte während der Wanderung per Videotelefonie dazugeschaltet werden, wodurch er einen Einblick in die Wahner Heide erhalten sowie gleichzeitig seine Perspektive aus Moroto in Karamoja schildern und mit der Gruppe teilen konnte. Aufgrund der Wichtigkeit, vielfältige globale Perspektiven in die Diskussion über Pastoralismus einzubeziehen, stehen die Veranstaltungen auch im Kontext einer langfristigeren Partnerschaft zwischen der Universität zu Köln und dem Karamoja Development Forum (KDF), einer Organisation aus Uganda, die sich für die Interessen und Belange der Pastoralisten in der Region Karamoja einsetzt.

Am 30. Juni wurde in Form einer hybriden Diskussionsrunde an die Eindrücke und Erkenntnisse der Exkursion angeknüpft und das Thema mit weiteren Inputs von internationalen Expert:innen vertieft. Eingeleitet wurde die Veranstaltung von Prof. Michael Bollig vom Ethnologischen Institut der Universität zu Köln, wobei die globale Verbreitung von Pastoralismus in Anbetracht der unterschiedlichen räumlichen Kontexte dargestellt wurde. Danach folgten Inputs von Thomas Stumpf, von Simon Peter Longoli vom KDF sowie von Ernestine Lüdeke von der Fundación Monte Mediterraneo in Andalusien. In der anschließenden Diskussion konnten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der pastoralen Praktiken in den verschiedenen Ländern elaboriert werden.

®Simon Longoli

Während die Arbeit von Schaf- und Ziegenhirten in Deutschland zu einer marginalen Tätigkeit geworden ist und für immer weniger Menschen eine Existenzgrundlage darstellt, sind in großen Teilen der Welt noch viele Menschen finanziell sowie in ihrer Ernährung vom Pastoralismus abhängig – so auch in Karamoja. Die Region, die mit etwa 27,5 Tsd. km² etwas kleiner als Nordrhein-Westfalen ist, liegt im Nordosten Ugandas an der Grenze zu Kenia. Von den etwa 1,2 Mio. Einwohnern lebt ein Großteil in agropastoraler Lebensweise, betreibt also einerseits Ackerbau und Viehzucht an festen Standorten und bewegt sich andererseits mit Rinderherden durch die Landschaft. Die Migrationsmuster richten sich dabei stark nach dem Pflanzenwachstum und daher auch nach dem Wetter bzw. dem Auftreten von Regen- und Dürreperioden. Da der Klimawandel solche Wetterextreme tendenziell verstärkt, verliert der Ackerbau als Ernährungsgrundlage zunehmend an Zuverlässigkeit. Die pastoralen Praktiken hingegen weisen gegenüber dem Klimawandel eine deutlich höhere Resilienz auf, da sie nicht ortsgebunden sind und daher schnell auf plötzliche Extremwetterereignisse reagieren können. Voraussetzung für das Funktionieren dieser Resilienz ist jedoch, dass sich die pastoralen Gemeinschaften frei im Territorium bewegen können und dass die Zugänge zu Weide- und Wasserstellen gerecht aufgeteilt werden. Allerdings kommt es in Karamoja seit Jahrzehnten zu Landnutzungskonflikten, wodurch die Mobilität der Pastoralisten und somit deren Spielraum gegenüber Klimavariabilitäten zunehmend eingeschränkt wird. Auch die mangelnde politische Unterstützung und Wertschätzung pastoraler Lebensweisen stellt in Uganda ein Problem dar und unterscheidet sich von der Situation in Deutschland, wo die Arbeit von Hirten aufgrund ihrer landschaftspflegerischen und klimatischen Bedeutung deutlich mehr Anerkennung erhält, während sie in Uganda häufig sehr negativ dargestellt oder sogar als ineffizient und schädlich diffamiert wird.

Auch wenn der Pastoralismus eine weit verbreitete und klimaresiliente Form der Nahrungsproduktion darstellt, wird er vielerorts als ineffizient und veraltet dargestellt, womit seine vielfältigen Potentiale verkannt werden. Daher möchte INFOE e.V. mit den Veranstaltungen zu „(Wander)-Weidewirtschaft heute“ den Pastoralisten weltweit Gehör verschaffen und deren traditionelle Praktiken stärken. So erklang im Rahmen der Diskussionsrunde auch der Appell, sich langfristig für die Stärkung des Pastoralismus zu engagieren und sich dahingehend weiter zu vernetzen und zu unterstützen. Ein wichtiger Beitrag dazu ist auch, dass das Jahr 2026 als Internationales Jahr für Pastoralismus deklariert wurde. Aber auch vorher schon verdient der Pastoralismus unser Interesse und unser Engagement!

Erfahren Sie mehr über die Bedeutung der Wander-Weidewirtschaft und der Situation in den drei Ländern in unserer Video-Dokumentation.