von Charlotte Filbry, Ethnologiestudentin in Köln

Die indigenen Gemeinschaften der Arktis gliedern sich in verschiedene Gruppen, die sich kulturell voneinander unterscheiden und ihrerseits in weitere Untergruppen aufteilen. Sie leben in Gebieten innerhalb der politischen Grenzen der arktischen Staaten USA (Alaska), Kanada, Grönland, Norwegen, Schweden, Finnland und Russland. Durch die mittlerweile lange Koexistenz sowie frühere Assimilationspolitiken leben indigene und nicht-indigene Bevölkerungsgruppen miteinander, nebeneinander und in Interaktion. Indigene gelten offiziell als Bürger*innen der jeweiligen Staaten und unterstehen in der Regel ihren administrativen Systemen. Viele haben Berufe in Städten ergriffen und führen ein Leben wie nicht-indigene Bürger*innen.

Doch viele indigene kulturelle Elemente haben immer noch eine große Bedeutung und sind ein wichtiger Teil indigener Identität. Dazu gehören die traditionelle Jagd auf Robben oder Eisbären sowie das selbstverständliche Teilen von Fleisch mit der ganzen Gemeinschaft. Für diese Praktiken ist ein umfassendes Wissen der natürlichen Umgebung und des Verhaltens von Tieren sowie verschiedenster Wetterverhältnisse Voraussetzung. Dieses Wissen wird von Generation zu Generation weitergegeben und ist meist anders strukturiert und wird auf andere Weise vermittelt als naturwissenschaftliches Wissen. Traditionelles indigenes Wissen von arktischen Gemeinschaften basiert auf einer animistischen Weltanschauung – der Ansicht, dass alle menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten beseelt sind. Dies führt zu einer respektvollen Haltung gegenüber der natürlichen Umgebung und zu ressourcenschonenden Wirtschaftsweisen.

Indigene Gemeinschaften übertragen Wissen, Lebensweisen und Bräuche in Geschichten und Mythen über viele Generationen hinweg. Durch diesen lang zurückgehenden Wissensschatz erkennen sie Veränderungen in ihrer natürlichen Umgebung, die über das gewohnte Maß an Wetterschwankungen hinausgehen. Die Ausführung kultureller Praktiken wie das Jagen sind durch dünneres Eis und heftigere Stürme gefährlicher geworden. Lange Wanderungen auf dem Eis können unbekannte Gefahren und Probleme mit sich bringen und lebensgefährlich sein. Arktische Indigene, die über Jahrtausende hinweg Resilienz bewiesen haben, gelangen beim Klimawandel an ihre Grenzen. Die Veränderungen sind zu drastisch und geschehen zu schnell, als dass eine nachhaltige kulturelle Anpassung möglich ist. Für indigene Gruppen der Arktis steht ihr kulturelles Überleben auf dem Spiel. Die rasanten Klimaveränderungen hindern sie bereits an der Ausführung kultureller Praktiken und dessen Weitergabe an jüngere Generationen:

“[W]e used to go out on the ice by the end of October, or early November at the latest. Now our hunters and fishers are left waiting later into the year for safe conditions. […] As time passes and they wait to get out on the ice, not only does this mean less food but also fewer opportunities to pass on their knowledge to our youth.” (Lisa Koperqualuk, Vizepräsidentin des Inuit Circumpolar Council).

Es ist wichtig, indigene Gemeinschaften stärker in den Klimawandeldiskurs einzubinden und ihnen Entscheidungsmacht bei klimaschützenden Maßnahmen einzuräumen. Immer noch finden globale und wissenschaftliche Debatten fast ausschließlich nach naturwissenschaftlichen Maßnahmen statt, ohne andere Formen des Wissens und der Erkenntnisgewinnung einzubeziehen. Es mangelt an Anerkennung und Akzeptanz, dass nicht nur naturwissenschaftliches Wissen „echtes“ Wissen ist. Zum Schutz indigener Lebensweisen sowie zum Erreichen des Nachhaltigkeitsziels 13 (Climate Action) ist es von großer Bedeutung, dass indigene Gruppen noch mehr Anerkennung bekommen und ihnen noch mehr Rechte zugesprochen werden.

Ein erster Anfang ist die UNESCO-Initiative LINKS –Local and Indigenous Knowledge Systems, die sich zum Ziel gesetzt hat, lokales und indigenes Wissen in globalpolitische Prozesse und die Klimaforschung miteinzubeziehen. BRISK (Bridging Indigenous and Scientific Knowledge) – ein Unterprojekt von LINKS – hat sich zum Ziel gesetzt, mit indigenen Partnern und zwei französischen Wissenschaftsinstituten die Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis zu erforschen sowie Anpassungsstrategien zu entwickeln.

Quellen:

https://www.arctic-council.org/news/indigenous-peoples-have-to-be-heard-an-interview-with-hjalmar-dahl/ „The Voices of the Indigenous People Have To Be Heard”: An Interview with Hjalmar Dahl – Arctic Council 2021

https://www.arctic-council.org/explore/topics/arctic-peoples/our-changing-home/sea-ice/ “The Arctic – Our Changing Home. Disappearing Sea Ice, Changing Diet” – Inuit Circumpolar Council (ICC)

https://www.arctic-council.org/about/ “About the Arctic Council” – Arctic Council Secretariat 2022

https://en.unesco.org/links/climatechange “Indigenous Knowledge and Climate Change” – UNESCO 2021

https://en.unesco.org/links/climatechange/arctic “Indigenous Knowledge and Climate Change in the Arctic” – UNESCO 2021