Nach 3 Jahren waren wir wieder einmal im Uniclub in Bonn – und diesmal auch Online – versammelt, um – fast schon traditionell – anlässlich der zu der Zeit in Bonn stattfindenden Klimaverhandlungen aktuelle Themen mit indigenen und internationalen Expert*innen zu diskutieren. Der Lunch-Talk am 14. Juni 2022 widmete sich Fragen im Zusammenhang mit dem Nexus der Klima-, Ernährungs- und Gesundheitskrisen und möglichen Lösungsansätzen aus verschiedenen Perspektiven und praktischen Erfahrungen. Das Thema stand im Zusammenhang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) 2, 3 und 13 zur Beseitigung von Hunger und Unterernährung, zur Verwirklichung eines gesunden Lebens für alle und zur Bekämpfung des Klimawandels. Wie diese miteinander verbunden sind und erreicht werden können und wie Lösungen zu finden sind, hierzu erhielten wir Eindrücke, Kurzberichte und Erkenntnisse von den lokalen, indigenen und internationalen Referent*innen. Die Teilnehmer*innen vor Ort und Online hatten bereits vor der Veranstaltung die Möglichkeit, die Referent*innen, ihre Arbeit und ihre zentralen Perspektiven über ein Padlet kennenzulernen.
Mireille Remesch von der Agrarkoordination in Hamburg gab zunächst einen Überblick über die Herausforderungen des Nexus in und für Deutschland. Sie sagte, dass die Klima- und Gesundheitskrise auf unseren Tellern verschmelzen. Ernährung ist hauptverantwortlich für Klimawandel und den schwachen Gesundheitszustand von Menschen in vielen Ländern. Frau Remesch stellte das Konzept der planetarischen der Grenzen vor. Es beinhaltet eine Reihe von neun planetarischen Grenzen innerhalb derer sich die Menschheit weiterentwickeln kann für kommende Generationen. Jedoch sind einige der Grenzen durch unsere aktuelle Entwicklung und Lebensweise bereits überschritten und somit für nachfolgende Generationen nicht mehr intakt. Hier findet eine nicht-nachhaltige Entwicklung statt. Deshalb sind Veränderungen im Ernährungssystem dringend notwendig. Ein Weg ist es, mehr Gemüse und Früchte zu produzieren und konsumieren. Aber nicht nur die Verbraucher*innen dürfen in die Verantwortung genommen werden, sondern besonders auch die Politik ist gefragt. Eine kohärente Politik ist notwendig. Die Bundesregierung hat dafür eine Lebensmittelstrategie bis 2023 angekündigt. Um klimaneutral zu werden, muss Deutschland die Menge der Tiere um 50% reduzieren und in der Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU stärker eine ökologische und faire Produktion einfordern.
Für Pedro Coña Caniullan, Mapuche und Agronom aus Chile, steht Gesundheit im Zentrum unseres täglichen Lebens ist daher auch zentral im Nexus zwischen Klima, Ernährung und Gesundheit. Gesundheit andererseits ist verbunden mit vielen – wenn nicht allen – anderen Aspekten unseres Lebens. Leben verbindet uns alle, alle Menschen und Wesen, Pflanzen und Umwelt auf der Erde. Herr Coña stellte ein Projekt vor, das mit ländlicher Mapuche Primarschule in Chile arbeitet, wo es um die Verknüpfung zwischen Bildung, Landwirtschaft und erneuerbaren Energien und damit um Nachhaltigkeit geht. Wenn Kinder schon im Grundschulalter erfahren, welche natürlichen Ressourcen es in ihrer Umgebung gibt und wie diese nachhaltig genutzt werden können, wird damit ein Grundstein für ein gesundes und achtsames Leben mit der natürlichen Umwelt gelegt. Ebenso werden damit verbundene kulturelle Werte weitergegeben.
Grace Balawag von der Organisation Tebtebba von den Philippinen hob die Rolle indigener Frauen im Zusammenhang mit dem Nexus hervor. Indigene Frauen sind Trägerinnen und Bewahrerinnen des traditionellen Wissens über Ernährungssysteme, Ernährung, Gesundheit und Kultur ebenso wie über Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels. Auf einer täglichen Basis sind sie mit der Ernährung und Gesundheit ihrer Familien betraut und beschäftigt und spielen daher eine entscheidende Rolle in der Lösung von Krisen. Mit ihrem Wissen müssen sie daher stärker in Diskussionen zur Entwicklung von Anpassungsstrategien gehört werden. Befähigte indigene Frauen haben gelernt, sich an den Klimawandel anzupassen und durch ihr Wissen und ihre Praktiken zur Armutsbekämpfung beizutragen.
Simon Peter Longoli, vom Karamoja Development Forum in Uganda stellte den traditionellen Verhandlungsmechanismus der Karamojong-Wanderhirt*innen im Kontext des Nexus der Klima-, Ernährungs- und Gesundheitskrise vor. Wegen den extremen Auswirkungen des Klimawandels bekommt der traditionelle Verhandlungsmechanismus ‚Etamam‘ eine zentrale und überlebenswichtige Bedeutung. Etamam, das bedeutet einfach „die Botschaft senden“. Die Botschaft bzw. Frage bzgl. des Zugangs zu den Ressourcen der Hirten, deren Nutzung und Verwaltung für die Hirten überlebenswichtig ist. Etamam ist mittlerweile in verschiedene Institutionen und Mechanismen der Hirt*innen integriert. Die Verhandlungsmechanismen sichern einen konfliktfreien Zugang zu den notwendigen Ressourcen der Viehhirt*innen und sind damit zentral in der Bewältigung der verknüpften Krisen. Dies gilt auch für die Kommunikation und das Zusammenleben und Teilen von Ressourcen, insbesondere Wasser, mit den benachbarten Turkana aus Kenia.
Werner Bokelmann berichtet über das HORTINLEA Projekt in Kenia. Das globale Ernährungssystem muss sich ändern. Dazu sind die bereits vorgestellten lokalen Ansätze entscheidend. Im HORTINLEA Projekt ging es um die Rolle von einheimischem Gemüse, als Möglichkeit um insbesondere Ernährungssicherheit für einkommensschwache Haushalte in Kenia zu schaffen. Einheimische Gemüsesorten sind kein neues Thema und ihre bedeutende Rolle für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung wurde in der Wissenschaft bereits herausgestellt. Was sind die konkreten Vorteile dieser einheimischen Gemüsesorten? In Kenia speziell gibt es eine große Vielfalt an einheimischen Gemüsesorten, die das Potential haben den sogenannten ‚verborgenen Hunger‘, d.h. Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen, zu beheben. Die gute Anpassungsfähigkeit der einheimischen Gemüse an die lokalen Bedingungen bedeutet gute Anbaubedingungen, was ihren arbeitsintensiven Anbau wiederum zu einer wichtigen Einkommensquelle für ländliche Haushalte macht. Die Frage angesichts der Vorteile ist, warum diese Gemüsesorten nicht vermehrt genutzt und angebaut werden. Es ist eine holistische Analyse notwendig, um solche Fragen zu beantworten weshalb im Projekt ein Wertschöpfungsketten-Ansatz als konzeptioneller Rahmen gewählt wurde.
Katrina McKee gab einen Überblick über die Arbeit des Ernährungsrates Köln. Dabei geht es um Ernährungssicherheit und darum wie Konsum- und Produktionsweisen verändert werden können, da ein Überwiegen des Konsums bei zu geringer Produktion im urbanen Raum zu beobachten ist. Die Ernährungsräte beschäftigen sich mit diesen Fragen auf kommunaler Ebene und handeln als Brücke zwischen Bürger*innen und den Stadtverwaltungen. Es gibt verschiedene aktionsorientierte Schritte, wie die Umsetzung einer urbanen Landwirtschaft zur Behebung des Gefälles zwischen dem Konsum in den Stadtzentren einerseits und einer energieintensiven Produktion in der Peripherie andererseits. Weiterhin geht es um die Förderung von kleinmaßstäblicher Landwirtschaft und die Schaffung von Plätzen in der Stadt, die gemeinschaftlich für den Anbau von Nahrungspflanzen genutzt werden können. In diesen Gemeinschaften werden Migrant*innen und ihr Wissen um Nahrungspflanzen und -zubereitung einbezogen. Was würde Ernährungssouveränität in unserer Stadt bedeuten? Wie würde das aussehen? Das sind Fragen mit denen sich der Ernährungsrat Köln beschäftigt und die in eine Ernährungsstrategie für Köln und Umgebung mündete als Beitrag zur Demokratisierung der Ernährungspolitik.
In die anschließende Diskussion brachten sich die Teilnehmenden Online mit Fragen und Kommentaren ein. Es ging um Fragen der Ernährungssouveränität in Krisengebieten oder instabilen Regionen. Ernährungssicherheit hat mit Stabilität von Versorgung zu tun. Daher müssen Ernährungssysteme resilienter werden. Die Stärkung der Fähigkeiten der lokalen Bevölkerung mit ihrem Wissen ist hierbei zentral, betonte Herr Bokelmann. Leider wurden und werden landwirtschaftliche Entwicklungen und Innovationen häufig nicht auf dem örtlich vorhandenen landwirtschaftlichen Wissen aufgebaut.
Eine weitere Frage beschäftigte sich mit der Rolle von Bildung. Bildung spielt eine zentrale Rolle, insbesondere um Wissen zu erhalten, sagte Pedro Coña. Dies bezieht sich nicht nur auf Wissen darüber, wie Pflanzen produziert und genutzt werden, sondern auch welche Botschaften Pflanzen überbringen, was sie uns anzeigen, wie beispielsweise Wetterereignisse. Deshalb ist kulturell-basiertes Wissen, das eng mit dem Ort und seinen natürlichen Gegebenheiten verbunden ist so wichtig. Grace Balawag fügte hinzu, dass die Weitergabe von Wissen an die nächste Generation so wichtig ist, was wiederum eine wichtige Aufgabe der Frauen ist. Leider ist in den Gemeinden zu beobachten, dass die junge Generation sich häufig nicht dafür interessiert, wie die Pflanzen angebaut und traditionelle, lokal angepasste gesunde Nahrung produziert wird. Deshalb gibt es starke Bemühungen von Seiten der älteren Generationen sich in der Bildung zu engagieren. In der Bildung ist es wichtig, das traditionelle Wissen mit den neuen Entwicklungen und technischem Wissen zu verbinden. In Köln sind Schulgärten ein wichtiger Lernort, um Wissen über Pflanzen, ihren Anbau und ihre Verwendung in der Ernährung an Kinder weiterzugeben, fügte Katrina McKee an.
In Bezug auf die Rolle von Frauen in indigenen landwirtschaftlichen Systemen erläutere Simon Peter Longoli, dass bei den Karamojong, Frauen eine wichtige Rolle spielen, insbesondere in den Kraals, zur Versorgung der Hirten sowie der Tiere. Heutzutage sind Frauen auch vermehrt in Verhandlungsprozesse eingebunden, beispielsweise in den Gemeinschaftsräten. In Hirtengemeinschaften werden Frauen respektiert und geschützt. Mehr und mehr sprechen Frauen auch über ihre Rolle und Sichtweise. INFOE berichtete darüber in einem Blogbeitrag.
Die Darstellungen und Diskussionen zeigten vor allem eines auf: nur gemeinsam mit lokalen und indigenen Wissensträger*innen und Wissenssystemen und mit interdisziplinären Ansätzen, lassen sich Lösungen für den Nexus der Klima-, Gesundheits- und Ernährungskrise finden. In der Verbindung von Ansätzen, die lokales, indigenes Wissen, Frauen und Älteste als Wissensträger*innen, Bildung und Wertschöpfung in den Mittelpunkt stellen liegt der Schlüssel für die Lösung der verknüpften Krisen, sowohl in Deutschland und deutschen Städten wie Köln, als auch in Ostafrika, Chile und auf den Philippinen.
Die Aufzeichnung des Lunch-Talks können Sie sich hier ansehen:
Hier können Sie den Bericht und die Präsentationen zur Veranstaltung herunterladen: