von Daniel Manquiol Jiménez Huanán und Elke Falley-Rothkopf

Gesundheit und Wohlergehen stehen für alle Menschen besonders in der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie an oberster Stelle. Die Pandemie betrifft alle Menschen in fast allen Ländern der Welt. Jedoch trifft sie nicht alle Bevölkerungsgruppen in den jeweiligen Ländern gleichermaßen, denn bereits gesundheitlich, sozial oder wirtschaftlich geschwächte und marginalisierte Menschen sind besonders betroffen. In dieser Pandemie, wenngleich sie auch viele im Umgang mit den Auswirkungen und in der Bekämpfung der Krankheit eint, zeigt sich auch ein unterschiedliches Verständnis von Gesundheit und Wohlergehen und wie dieses erreicht und erhalten werden kann.

In Deutschland stehen im Zusammenhang mit der Pandemie sowie grundsätzlich zur Erreichung von SDG 3 der “[…] Zugang zu guter medizinischer Versorgung, lebensrettenden Medikamenten, gesunder Ernährung, sauberem Wasser und guter Luft […]” im Vordergrund. [1] In der aktuellen Coronavirus-Pandemie finden sich weltweit betrachtet große Unterschiede beim Zugang zu guter medizinischer Versorgung und lebensrettender medizinischer Technik, während die sog. Biomedizin speziell gegen das Covid 19-Virus noch über kein Medikament verfügt.

Im Vergleich zum allgemeinen deutschen Verständnis von Gesundheit und Medizin, ist traditionelle indigene Medizin zunächst einmal lokal [2]. Sie wird entwickelt auf der Basis genauer Beobachtungen der Mitwelt und auch durch praktische Tests. Der enge Bezug zur Mitwelt, aber auch zum Spirituellen macht die spezielle Bedeutung indigenen Heilwissens aus. Indigenes Verständnis von Gesundheit sieht eine Balance zwischen Verstand, Körper, Geist und Mitwelt vor [3]. Alles steht miteinander in Verbindung, in Wechselwirkung. Insofern schließt indigenes Verständnis auch die Verwendung „moderner“ Medikamente und Diagnosemethoden nicht aus, umgekehrt hat die „moderne Medizin“ jedoch oft einen Ausschließlichkeitsanspruch.

Die marginalisierte indigene Bevölkerung des peruanischen Amazonastieflandes trifft die Krise auf besondere Weise. Nicht nur, dass historisch die indigene Bevölkerung in Amazonien immer wieder von Seuchen von außen schwer getroffen wurde und die Mehrheit der indigenen Bevölkerung Amazoniens in Städten allenfalls über die SIS-Karte notdürftig versorgt ist: der Ausnahmezustand hat die ohnehin geringen Einkommensmöglichkeiten der indigenen Bevölkerung schlagartig unterbrochen. In den Städten strandeten Angehörige indigener Gemeinschaften, die wegen der Reisebeschränkungen nicht in ihre Dörfer zurückkonnten

In Peru [4] galt der Ausnahmezustand mit sehr strengen Einschränkungen ab Mitte März 2020. Was dies in einem Land bedeutet, wo rund 70 % der Bevölkerung im informellen Sektor arbeiten, der nicht ins „home office“ gehen kann, kann man sich nur annähernd vorstellen. Das defizitäre Gesundheitssystem hat während der Coronakrise für 32 Millionen PeruanerInnen wenig mehr als 600 Intensivbetten. In dieser Situation versuchen die Matsés in Peru, in Hilfsmaßnahmen einbezogen zu werden und gleichzeitig müssen sie jedoch auch auf traditionelles Heilwissen und –methoden zurückgreifen – und dies heißt für die in den Städten gestrandeten Vertreter*innen: ohne Zugang zu ihren traditionellen Territorien und den dortigen indigenen Heilpflanzen.

Für die Matsés ist das Froschgift Acate [5] von großer Bedeutung, für dessen Anwendung es genaue Regeln und Vorschriften gibt: Während der Morgendämmerung, während es regnet, versammeln sich die Matsés in einem kleinen Haus, um zuerst Masato zu trinken und dann Acate mit dem erhitzten Stab einer Liane zu applizieren. Der Körper reagiert heftig auf das verabreichte Acate, z.B. mit Erbrechen, deshalb wird es auch unterschiedlich dosiert und deshalb wird auch jemand, der sich mehrere Applikationen auf einmal verabreichen lässt, als mutig betrachtet. Es wirkt nicht halluzinogen, jedoch wird die Wirkung als reinigend, von Krankheiten oder schlechten Gefühlen befreiend betrachtet.

Da die Matsés in der Vergangenheit auch von anderen indigenen Gruppen in der Verwendung von Heilpflanzen und Acate unterwiesen wurden und diese Heilmethoden übernahmen und anpassten, besteht auch die Absicht, Heilmittel wie Acate, mit dem die Matsés traditionell auch Malariaerkrankungen behandeln, zu diesen Gemeinschaften zu bringen und diese über die Wirkweise des Acate aufzuklären. Dies ist insbesondere angesichts des verstärkten Aufkommens von schweren Erkrankungen wie Malaria in Regionen mit einer indigenen Bevölkerung, die zuvor nicht betroffen war, eine wichtige Maßnahme. Ebenso sind jene Matsés, die noch und/oder wieder über das traditionelle Heilwissen verfügen, überzeugt, dass dieses bei vielen schweren Erkrankungen, z.B. auch Hepatitis und Diabetes, sehr wertvoll sein kann. Über die Wissenschaftler*innen, die bei und mit ihnen geforscht haben, ist z.B. die Wirkung von Acate auch im europäischen Ausland und in Nordamerika bekannt geworden. Jedoch hoffen traditionelle Wissensträger der Matsés nun auch darauf, dort selbst ihr Wissen zu vermitteln.

In einer eskalierenden Situation wie der aktuellen Corona-Virus-Pandemie, wo kaum westliche Behandlungsmethoden und Medikamente für den Großteil der Matsés-Bevölkerung zur Verfügung stehen, wird auch auf die traditionellen Anwendungen zurückgegriffen. Da es sich bei Corona jedoch um eine neuartige Krankheit handelt, rief der Matsés-Bürgermeister der Municipalidad Distrital de Yaquerana in einem offiziellen Schreiben vom 20. Mai 2020 an den peruanischen Präsidenten Martin Vizcarra Cornejo verzweifelt zur medizinischen Unterstützung des Distriktes auf, der zu jenem Zeitpunkt weder über einen Arzt, noch über Medikamente und lediglich zwei Krankenschwestern im Gesundheitsposten verfügte. [6] Erst im August wurde die Station wieder mit einem Arzt besetzt und auch Medikamente kamen an. Leider ist das Virus zwischenzeitlich auch in den entlegenen Gemeinden der Matsés aufgetaucht, bisher sind glücklicher Weise jedoch keine Toten zu beklagen.

Tatsächlich zeigt das Auftreten einer sowohl für die westliche Medizin, als auch für die traditionelle Medizin und Heilmethoden indigener Gemeinschaften – wie die der Matsés – neuen Krankheit wie Covid-19 in eklatanter Weise, wie miserabel indigene Gemeinschaften im staatlichen Gesundheitssystem versorgt sind. Andererseits bedeutet es die Chance, dass erkannt wird, wie wichtig es ist, dass sich die Wissenssysteme austauschen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Dies setzt voraus, dass der indigenen Seite die notwendige medizinische Unterstützung zuteilwird, die auch die übrige Bevölkerung des Staates erhält. Anders formuliert: die existenzielle Bedrohung indigener Gemeinschaften wie die der Matsés impliziert auch den drohenden Verlust traditionellen Heilwissens.