INFOE und das Sustainable Development Institute (SDI) des College der Menominee Nation in Wisconsin hatten am 1. Dezember 2022 zur virtuellen Diskussionsveranstaltung zur Situation unserer Wälder, zu nachhaltiger Forstwirtschaft sowie zu Wald- und Forstwissenschaft und -bildung in der aktuellen Krisenzeit eingeladen, denn die Situation der Wälder in Deutschland ist derzeit dramatisch, vor allem durch den extremen Trockensommer. Aber auch langjährige Waldbewirtschaftung, die auf Monokulturen, Entnahme und weniger auf Biodiversität und Respekt vor dem Lebewesen Wald ausgerichtet ist, hat natürlich ihren Teil zu dieser Situation beigetragen. Zum virtuellen Austausch unter dem Titel What we always wanted to know about forests from the Menominee and the Germans in these critical times fanden sich Vertreter*innen des SDI, der Menominee Tribal Enterprises, des College der Menominee Nation, Vertreter*innen der AG Wald, des Umweltbildungszentrum in Berlin, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, Wald- und Naturschützer*innen sowie Wildnispädagog*innen und Student*innen ein.

Das Nachhaltigkeitsmodell des SDI und das Leitprinzip der forstwirtschaftlichen Praxis der Menominee Tribal Enterprises (MTE) geht – ähnlich wie bei uns – auf die Worte eines Ältesten im 18. Jahrhundert zurück. Während bei uns Hans Carl von Carlowitz den Nachhaltigkeitsbegriff in der Forstwirtschaft prägte, sind es bei den Menominee die Worte von Häuptling Oshkosh (1795-1858), die noch heute gelten und in der Forstwirtschaft befolgt werden. Diese geschichtliche Gemeinsamkeit war auslösender Gedanke für den Austausch mit den Menominee darüber, wohin der jeweilige Nachhaltigkeitsgedanke geführt hat, wie er heute gelebt, praktiziert und an die jungen Generationen weitergegeben wird. Insbesondere angesichts der aktuellen Krisensituation des Waldes durch Klimawandel, Übernutzung oder nicht ausreichend nachhaltige Nutzung wollten wir der Frage nachgehen, welche Lösungs- und Schutzpotentiale für den Wald in den jeweiligen Nachhaltigkeitskonzepten und -praktiken stecken.

Im knapp zweistündigen Austausch sprachen wir über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der jeweiligen forstwirtschaftlichen Praxis und waldbezogenen Bildung. Wir tauschten uns über Perspektiven, Wissen, Bildungsansätze und Visionen in Bezug auf unsere Mensch-Wald-Beziehung und einen nachhaltigen Ansatz für die Waldbewirtschaftung aus. So erfuhren wir von den Menominee, dass der Klimawandel bei ihnen kein so großes Problem für den Wald darstellt wie bei uns. Dies ist unter anderem auf eine große Vielfalt an Baumarten, die im Menominee-Reservat wachsen bzw. angepflanzt werden, zurückzuführen. Die große biologische Vielfalt ist ein wesentlicher Faktor für die Resilienz des Waldes während in Deutschland lange Zeit Fichtenmonokulturen die Forstwirtschaft prägten. MTE verfügt über ein detailliertes System zur Klassifizierung von Lebensräumen, das es ihnen ermöglicht, das Verhalten von Bäumen, die Anpassung von Arten an unterschiedliche Böden usw. zu beobachten und zu studieren und daraus Lehren für das Management zu ziehen.

Selbstverständlich haben wir es auch mit anderen Größenordnungen zu tun: Die Fläche des Menominee-Reservats in Wisconsin beträgt etwa 95.000ha von denen etwa 90% bewaldet sind. In Deutschland sind etwa 29% der Gesamtfläche bewaldet, insgesamt etwa 10,5 Mio Hektar. Auch sind die Besitzverhältnisse und Forstmanagementstrukturen bei den Menominee ganz unterschiedlich im Vergleich zu den Strukturen in Deutschland auf Bundes- und Landesebene. Der Wald gehört bei den Menominee allen eingeschriebenen Stammesmitgliedern und wird von der MTE verwaltet. Diese wiederum hat unterschiedliche Abteilungen, die für Waldgesundheit, Forschung, Holzernte und -verarbeitung, Biodiversität, Feuermanagement u.a. verantwortlich sind.

Weitere Unterschiede konnten beobachtet werden im Hinblick auf das Nachhaltigkeitsmodell der Menominee, das sechs Dimensionen beinhaltet: Land und Souveränität, Natürliche Umwelt (einschließlich des Menschen), Institutionen, Technologie, Wirtschaft und Menschliche Aktivitäten, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen. Im Beitrag zu SDG 12 in unserer Publikation ‚Indigene Wege‘ sind die Dimensionen weiter erläutert. In Deutschland wird meist mit einem 3-dimensionalen Nachhaltigkeitskonzept – sozial-ökologisch-ökonomisch –  gearbeitet, wobei unterschiedliche Interessengruppen und Akteure unterschiedliche Prioritäten setzen.  Die kulturelle Bedeutung des Waldes spielt bei den Menominee eine deutlich größere Rolle in der Waldbewirtschaftung als bei uns.

Schließlich haben wir auch Gemeinsamkeiten im Bildungsbereich erkannt, in dem die Herausforderung besteht, junge Menschen für den Wald, den Waldschutz und die Arbeit im und mit dem Wald zu begeistern und auszubilden. Jedoch ist sowohl bei den Menominee als auch bei uns ein durchaus wachsendes Interesse an waldbezogenen Lerninhalten sowie auch an ‚Lernen im Wald‘ zu verzeichnen. Die vielfältigen pädagogischen Angebote auf verschiedenen Ebenen wie Waldkindergärten, Waldthemen und -tage in der Grundschule, Waldjugend und schließlich wald- und forstwirtschaftliche Studiengänge in Deutschland sind auch für die Menominee von Interesse und mögliche Anknüpfungspunkte für weitere Austauschbegegnungen. Weiterhin möchten wir uns auch über (notwendige) Veränderungen in unserer Sprache und der zugrundeliegenden Wertesysteme austauschen und uns gemeinsam dafür einsetzen, den Wald als nicht-menschlichen Verwandten mit einem eigenen Wert (und einer eigenen Existenzberechtigung) anzuerkennen und ihn nicht als bloßes Objekt unseres Konsums, unserer Holznutzung oder Erholung, des Schutzes oder als Kulisse für unsere Heilung zu betrachten.

So wurden zahlreiche Themen und Fragen angesprochen und aufgeworfen, die wir bei weiteren virtuellen Austauschbegegnungen mit unterschiedlichen Zielgruppen diskutieren möchten. Wir hoffen mit der Diskussionsveranstaltung den Beginn für einen längerfristigen gegenseitig bereichernden Austausch eingeleitet zu haben.

Für weitere Informationen zum Nachhaltigkeitsmodell der Menominee schauen Sie gerne in unserer Material zu SDG 12 auf der ‘Bewegten-SDG-Seite‘.